Die Brexit-Flüchtlinge

Seit dem Brexit-Referendum wollen sich immer mehr Briten in anderen Ländern einbürgern lassen. Die unsicheren Perspektiven des Insel-Staats sind für viele unerträglich.

Brexit-Flüchtlinge haben einen Vorteil gegenüber anderen Flüchtlingen - sie können legal über Heathrow überall hin. Foto: Taku20072019 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Nein, es sind nicht die Ratten, die das sinkende Schiff „MS Britannia“ verlassen – diejenigen, die den Brexit und die damit verbundenen Schwierigkeiten zu verantworten haben, sind immer noch in Großbritannien und schwadronieren von großartigen Zeiten für das Britische Empire, das allerdings gerade dabei ist auseinanderzubrechen. Eine Untersuchung des WZB (Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin) und der Wirtschaftskooperation „Oxford in Berlin“ zeigt anhand von Zahlen auf, dass die britische Insel von einer echten Auswanderungswelle betroffen ist. Und da viele von den auswandernden Briten nach Deutschland kommen, ist damit auch gleich die These „das Boot ist voll“ widerlegt…

Ungefähr 17.000 Briten haben seit 2016 jährlich dem Vereinten Königreich den Rücken gekehrt, was eine deutliche Steigerung (rund 30 %) zu den Vorjahren bedeutet. Für die Studie haben die Forscher zahlreiche britische Auswanderer befragt und die Gründe für diesen Exodus liegen auf der Hand – die wirtschaftliche und soziale Unsicherheit, die der Brexit ja bereits heute mit sich führt.

Mit den neuen Einbürgerungen haben die Briten nun Polen und Rumänen von den Plätzen 2 und 3 verdrängt, an der Spitze bei den Einbürgerungen in Deutschland befinden sich nach wie vor Türken. Dabei ist auch klar, warum die Briten so zahlreich nach Deutschland und in andere europäische Länder strömen – britische Staatsangehörige, die bis zum Ende des Horrorjahrs 2020 einen Antrag auf Einbürgerung stellen, dürfen ihren britischen Pass behalten und erhalten dazu eine EU-Bürgerschaft in dem Land, in dem sie sich niederlassen. Nach dem von Bo Johnson angestrebten „hard Brexit“ wird es diese Möglichkeit voraussichtlich nicht mehr geben und britische Auswanderer werden dann wählen müssen, ob sie EU-Bürger oder britische Staatsangehörige werden oder bleiben wollen.

Die Einschätzung vieler Briten, dass der Brexit nach Covid und dazugehöriger Wirtschaftskrise die nächste Katastrophe für Großbritannien werden wird, teilen immer mehr Briten. Allerdings können sie nicht mehr behaupten, dass sie sich nicht hätten wehren können – denn sie hatten im letzten Dezember die Möglichkeit, gegen Bo Johnson und damit gegen den einen Brexit zu stimmen und sie haben es nicht getan. Zwei Referenden, zwar mit knappen Ergebnissen, aber demokratisch erfolgt, haben den Brexit besiegelt. Jetzt, vier Jahre später zu jammern, das kommt etwas spät. Insofern versteht man die Briten, die nun konsequent die Insel verlassen, um weiterhin in Europa zu leben.

Die Studie sagt auch, dass eine solche Auswanderungswelle normalerweise nur nach großen wirtschaftlichen und/oder politischen Krisen zu beobachten ist – und das passt ja. Blöd für die Insel ist nur, dass die Auswanderer überwiegend zur wirtschaftlichen, geistigen und kulturellen Elite Großbritanniens gehören. Denn in allen aktuellen Schwierigkeiten würde man genau diese Köpfe brauchen, um halbwegs unbeschadet durch die Krisen zu kommen. Ob Verbal-Rowdy Johnson und seine Buddys hierzu in der Lage sind, ist mehr als fraglich.

Also, herzliche willkommen, britische Neubürger. Wir nehmen euch gerne bei uns auf! Denn für weiße und gebildete Flüchtlinge ist bei uns immer Platz. Das mit dem „vollen Boot“, das sagen wir nur, wenn es um Flüchtlinge aus anderen Kulturkreisen geht…

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