Die Debatte um die „elsässische Identität“ geht weiter

Die Demonstrationen für eine Region Elsass gehen weiter. Doch die Entscheidung ist in Paris gefallen. Die elsässische Identität wird trotzdem überleben.

Graue Wolken über der Region Elsass. Doch die "elsässische Identität" wird überleben. Foto: Eurojournalist(e)

(KL) – Am Samstag wird in Straßburg wieder für eine Region Elsass demonstriert. Doch hat das französische Parlament entschieden, dass es im Rahmen der Gebietsreform zur Schaffung der neuen Großregion Elsass-Lothringen-Champagne-Ardenne kommen wird. Immer noch beschränken sich die Verfechter einer Region Elsass darauf, die „elsässische Identität“ in den Vordergrund zu stellen, ohne dabei die eigentlich vielen guten Argumente, die für eine solche Region Elsass gesprochen hätten, in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten zu stellen. Das ist der große Fehler, den die Befürworter der Region Elsass gemacht haben und weiter machen: Sie lassen die tatsächlichen Gründe, die man hätte vorbringen und geltend machen können und müssen, weitgehend außer Acht und appellieren stattdessen an ein diffuses, stark emotional geprägtes Regionalgefühl.

Die Demonstrationen im Elsass zu diesem Thema hatten bislang etwas Seltsames, was man sicherlich wieder am Samstag in Straßburg erleben wird. Denn es mischten sich lokale Bürgermeister, konservative Politiker von lokaler, regionaler und nationaler Ebene mit Vertretern elsässischer Kulturvereine, die ihrerseits über jeden Zweifel erhaben sind, mit Autonomisten, deren nicht ganz klares Anliegen man nicht mittragen sollte.

Das wichtigste Argument für eine Region Elsass wäre der europäische Modellcharakter gewesen, von dem auch ganz Frankreich profitiert hätte. Hier, in der deutsch-französischen Grenzregion, zu der man auch die Kooperationen mit der Schweiz, mit Luxemburg und Belgien zählen darf, wird auf vielen Ebenen, von der Zivilgesellschaft bis hin zur hohen Politik, europäischen Realität geübt. Natürlich hätte es die Position des Elsass gestärkt, hätte man in den letzten Jahren noch mehr in der regionalen, grenzüberschreitenden, bi- und trinationalen Region am Oberrhein erreicht – damit hätte man bei dieser Debatte um die Neudefinition der Regionen punkten können.

Nein, stattdessen hört man weiter das Lied von der „elsässischen Identität“. Als ob diese durch eine administrative Neuordnung in ihrer Existenz gefährdet sei. Die elsässische Identität, die zwischen Wissembourg und Saint Louis sehr verschieden sein kann, hat sich im Verlauf der Jahrhunderte entlang der historischen Tragödien entwickelt. Im Süden des Elsass mit einer eher eidgenössischen Ausrichtung, im Norden eng mit der Pfalz kooperierend, entlang der Rheinschiene im intensiven Austausch mit Baden. Gelitten hat das Elsass unter den Begehrlichkeiten der vielen Armeen, die sich hier seit dem frühen Mittelalter und bis zu den Nazis die Klinke in die Hand gaben. Aus all diesen leidvollen Erfahrungen, dem ständigen Wechsel der Zugehörigkeit, mal zum romanischen Frankreich, mal zum nordeuropäischen Deutschland, aus der Zerrissenheit bis hin zur Sprache, zusammen mit dem Stolz auf ein wunderschönes und fruchtbares Fleckchen Erde, hat sich die elsässische Identität entwickelt. Meint wirklich jemand, dass sich an dieser elsässischen Identität etwas ändert, weil ein paar Büros in andere Städte verlegt werden und ein paar neue Büros hier angesiedelt werden? Identität hat mit regionaler Kultur zu tun und diese wird keinen Schaden daran nehmen, dass man sich die Verwaltung mit zwei anderen Regionen teilt.

Die „badische Identität“ (die übrigens zwischen dem Wiesental und dem Kraichgau auch sehr unterschiedlich ist) hat nicht im Geringsten darunter gelitten, dass nach dem Krieg Baden mit Württemberg zusammengelegt wurde. Beide Landesteile verbindet zwar immer noch eine Art Hassliebe, doch weder haben die Badener angefangen Schwäbisch zu reden und Klingelberger zu trinken, noch reden die Schwaben heute Badisch und schlotzen Gutedel. Badener waren, sind und bleiben Badener, Schwaben waren, sind und bleiben Schwaben. Und nur, weil die gemeinsame Landesregierung im falschen Landesteil sitzt, nämlich in Stuttgart bei den Schwaben statt in Karlsruhe in Nordbaden, kommt man trotzdem miteinander klar. Niemand hätte etwas davon, würde es jedes Ministerium, jede Verwaltung, unterschiedliche Regelungen und Zuständigkeiten jeweils in Baden und Württemberg geben. Doch hat das etwas an der badischen Mentalität und Kultur geändert? Natürlich nicht. Und wenn, dann höchstens, dass die Badener heute noch etwas stolzer auf ihr Badnerland sind. Was im Elsass genauso der Fall sein wird.

Der politische Zug ist abgefahren, die Entscheidungen sind gefällt, die Fehler sind gemacht. Das lässt nicht viel Optionen. Eigentlich nur drei. Die erste Option wäre der Guerilla-Krieg. Ein ganz schöner Akt wegen einer Verwaltungsreform. Tatsächlich die Vogesen-Pässe sperren, wie einige schon vorgeschlagen haben? Die Bevölkerung bewaffnen, damit der französische TÜV seine regionale Zentrale lieber hier statt dort betreibt? Klingt absurd… Option zwei: Man organisiert Demonstrationen, auf denen man sich gegenseitig versichert, dass man ein guter Elsässer ist. Da läuft man dann mit, hört sich flammende Reden über die Ungerechtigkeit des französischen Staats an und ruft dann „Elsass frei!“ Hurra! Man könnte aber auch die dritte Option andenken: Nämlich sich die Frage stellen, wie diese neue Verwaltung so organisiert werden kann, dass das Elsass dabei, warum nicht über die neue Eurometropole, gut aufgestellt bleibt. Man könnte nachdenken, wie man sicherstellt, dass die europäischen Institutionen auf jeden Fall in Straßburg bleiben. Und dass sich die europäischen Kooperationen in diesem Raum weiter positiv entwickeln können.

Wenn man diese dritte Option nicht wählt, dann könnte es darauf hinauslaufen, dass das Elsass nicht nur bei der politischen Debatte um die Gebietsreform zu spät kommt und die falschen Argumente ins Spiel bringt, sondern dass das Gleiche auch bei der Ausgestaltung dieser neuen Region passiert. Denn während die einen noch den historischen Zusammenbruch einer zwei Jahrtausende alten Kultur und Identität beklagen, arbeitet man in den anderen Partnerregionen bereits aktiv daran, sich geschickt für die anstehenden Verhandlungen aufzustellen. Was in der aktuellen Situation kein Fehler ist. Es sei denn, es reicht einem, sich später zu beklagen, dass man sich bei der Verteilung der neuen Kompetenzen, Budgets und Schlüsselpositionen wieder nicht hat durchsetzen können. Es wäre vielleicht nicht schlecht, würde das Elsass diesen Zug nicht verpassen.

2 Kommentare zu Die Debatte um die „elsässische Identität“ geht weiter

  1. Beyer Antoine // 13. Januar 2015 um 11:08 // Antworten

    Kai, arrête de chausser tes lunettes d’Allemand quand tu parles de groupements régionaux. Il y a un fossé entre une démarche fédérale fondé sur le libre consentement de deux Etats à fusionner dans le cas du Bade et du Wurtemberg avec de vrais pouvoirs réglementaires et fiscaux qui garantissent l’idividualité de la nouvelle structure et des capacités d’autio-gestion. Dans le cas français, c’est purement et simplement une décision autoritaire, non consentie, par ailleurs sans savoir quelle forme et quels pouvoirs, quelles responsabilités financière incombera aux territoires et cela fait toute la différence.

    Ce qu’on défend avec la volonté de maintien d’une Alsace administrativement autonome c’est une bien le respect politique des identités et la capacité de décider localement ce qui concerne les choses locales. La réforme est essentiellement la ré-affirmation du système politique centralisé, la négation de la légitimité des corps intermédiaires et une seule manière d’être français. Il y a bien un sentiment d’être alsacien et la critique de la diversité que tu décline ici vaut pour n’importe quelle entité politique. Le point est qu’il y a plus de choses qui rassemble ces personnes de choses qui les différencient. Mais le plus important peut-être c’est de dire qu’il y a bien là une autre forme de démocratie qui est en jeu et des alternatives possibles qui ont aussi voie au chapitre.

    Si tu condamnes le manque d’arguments contre la réforme, c’est que tu n’es pas allé voir les débats en ligne de l’Assemblée nationale et du Sénat. A l’inverse, tu pourrais aussi donner des arguments fondés pour la fusion que tu sembles appeler de tes voeux. Tu verras qu’ils ne sont guère solides.

    Bien cordialement à toi,

    AB

    http://bigbangterritorial.unblog.fr/2014/12/23/antoine-beyer-la-reforme-territoriale-a-la-lumiere-des-debats-de-la-science-regionale/

    • Kai Littmann // 14. Januar 2015 um 18:17 // Antworten

      Cher Antoine, je n’ai pas souhaité cette fusion, comme on pouvait le lire ici-même. Au contraire, à maintes reprises, j’ai déploré que les arguments avancés étaient des prises de position qui tournaient autour de “l’identité alsacienne” qui serait en danger. Mais maintenant que cette décision est prise, il serait peut être mieux d’en faire le maximum au lieu de bouder dans son coin – dans les autres régions faisant partie du “Grand Est”, on s’y prépare et je n’ai pas encore entendu des lamentations sur “l’identité champenoise” qui serait menacée. L’Alsace doit faire attention de ne pas louper le train qui s’est déjà mis en marche. Et avoues, tes arguments (que je trouve tout à fait valables) sont bien différents que le “Elsass frei” des autonomistes et “rot-wiss”. Ceux qu’on a entendu, ce n’étaient pas ceux qui argumentaient, mais ceux qui criait “on tue l’Alsace”. Et entre ton discours et ton postulat d’un état moins centralisé et les discours des autonomistes, il y a tout un monde… Amicalement Kai

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