Die französische Demokratie ist schwer krank

Auch, wenn es die Ergebnisse der französischen Parlamentswahl erst am nächsten Sonntag gibt, kann man eines bereits nach dem 1. Wahlgang festhalten: Die französische Demokratie ist schwer krank.

Es zieht immer weniger Franzosen in die Wahlkabinen... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Gewinner des ersten Wahlgangs der französischen Parlamentswahlen sind, wie immer, die Nichtwähler. Rund 60 % der französischen Wahlberechtigten sind nicht wählen gegangen, was einmal mehr zeigt, dass das Vertrauen der Menschen in die Politik nicht nur erschüttert, sondern zerstört ist. Auf nationaler Ebene liegen die Präsidentenpartei „Renaissance“ (vorher: La République en Marche) und das linke Wahlbündnis „NUPES“ praktisch gleichauf bei ungefähr 26 % der Stimmen, gefolgt vom rechtsextremen „Rassemblement National“ (RN, vorher: Front National). Aufgrund des anachronistischen französischen Wahlsystems haben diese Zahlen allerdings noch nichts zu bedeuten, entschieden wird erst am nächsten Sonntag bei der Stichwahl.

Dennoch kann man bereits heute eine erste Bilanz dieses ersten Wahlgangs ziehen und die fällt katastrophal aus. Politik ist in Frankreich zu einer Übung verkommen, in der sich diejenigen durchsetzen, die am besten manipulieren, kommunizieren, lügen und ihre ganze Energie auf ihre persönliche Karriere ausrichten. Dass dies den Franzosen gegen den Strich geht, ist egal. Denn am Ende des Tages interessiert es keinen Politiker, ob er „schlecht“ oder „gut“ gewählt wurde, Hauptsache gewählt und ein warmes Plätzchen am Ofen gesichert.

Das Dilemma der Franzosen der Präsidentschaftswahlen setzt sich nahtlos bei den Parlamentswahlen fort – die Wähler haben die Wahl zwischen Pest, Cholera und anderen schlimmen Krankheiten und die Parteien weigern sich standhaft, die Zeichen der Zeit zu erkennen, was dann dazu führt, dass sich Extremisten aller Couleur immer stärker profilieren.

Im Elsass wird es am nächsten Sonntag zu mehreren Duellen zwischen den Kandidaten der Präsidentenpartei und denen des „Rassemblement National“ kommen, nur in den Straßburger Wahlkreisen werden die Macron-Kandidaten einen sehr schweren Stand haben. Wenngleich die Ergebnisse erst im Laufe des späten Abends eintrudeln werden, gibt es bereits die ersten Überraschungen. So scheiterte die Europaabgeordnete Anne Sander (LR) überraschend im nördlichsten Wahlkreis Wissembourg, wo es am nächsten Sonntag zum Duell „Rassemblement National“ gegen „Renaissance“ kommt. Ebenfalls im ersten Wahlgang ausgeschieden ist die bisherige Abgeordnete Martine Wonner im Wahlkreis 4, in den anderen Wahlkreisen geht es ebenfalls eng zu und alle bisherigen Abgeordneten müssen am nächsten Sonntag in die Stichwahl.

Die besten Chancen haben die bisherigen Abgeordneten in Haguenau (Wahlkreis 9), wo Vincent Thiébaut relativ deutlich vor dem RN-Kandidaten liegt und der Abgeordnete von Saverne Patrick Hetzel (LR), der sogar sehr deutlich vor dem RN-Kandidaten führt. Knapp wird es für den bisherigen Vize-Präsidenten der Nationalversammlung Sylvain Waserman (MoDem) werden, während der Macron-Kandidat Alain Fontanel im Wahlkreis 1 wohl auf der Verliererstraße ist, da in diesem Straßburger Wahlkreis traditionell eher links gewählt wird.

Bleibt die Erkenntnis, dass die V. Französische Republik abgewirtschaftet hat. In diesem politischen System geht es gar nicht mehr um Frankreich, sondern lediglich um die Posten und Pöstchen im Politikbetrieb. Wie immer überschlagen sich die Kandidaten und Parteioberen an solchen Wahlabenden mit hohlen Versprechungen, doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die französische Demokratie malade ist, ihre Glaubwürdigkeit verloren hat und dass die Wählerinnen und Wähler keine Lust mehr auf diese Farce einer Demokratie haben.

Gleich, wie die nationalen Strömungen nach diesem ersten Wahlgang aussehen, Entscheidungen gibt es erst am nächsten Sonntag. Die Ergebnisse auf nationaler Ebene haben tatsächlich keine Bedeutung, denn erst am Sonntag wird entschieden, wer die 577 Wahlkreise in Paris vertreten wird.

Und so darf man sich jetzt auf die „Woche der Versprechungen“ freuen, denn diejenigen Kandidaten, die es in die Stichwahl geschafft haben, werden wie immer das Blaue vom Himmel versprechen. Glauben können diesen Versprechungen kaum noch ein Drittel der Franzosen, der Rest des Landes hat die Hoffnung aufgegeben, dass sich in dieser V. Republik noch irgendetwas ändern wird. Erschreckend ist, dass dieses kaputte System am nächsten Sonntag für die nächsten 5 Jahre zementiert werden wird und sich nichts, aber auch gar nichts, zum Besseren verändern wird. Warum sich Frankreich aber immer tiefer in die Krise hineinwählt, ist ein Rätsel, dass Soziologen, Psychologen und Politikwissenschaftler ergründen werden müssen.

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