Die französische Illusion

Olivier Védrine vom „Russian Monitor“ über den Versuch eines Dialogs zwischen Macron und Putin.

So lange die Europäer und die USA nicht mit einer Stimme sprechen, wird Putin kaum zuhören. Foto: Kremlin.ru / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(Olivier Védrine) – Ende Januar hat der französische Präsident Emmanuel Macron mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin gesprochen, um etwas Ruhe in die Diskussionen über die Ost-Erweiterung der NATO zu bringen. Doch der Kreml ändert nichts an seinen Positionen und ist erbost darüber, dass der Westen seinen Forderungen gegenüber taub bleibt.

Wladimir Putin einen „Weg aus der Eskalation“ vorzuschlagen, das war die delikate Aufgabe von Emmanuel Macron. Doch was ist das Ergebnis dieses morgendlichen Gesprächs der beiden Staatenlenker zum Thema der Ukraine-Krise? Die erste Kommunikation über diesen Schlichtungsversuch kam aus Moskau. Wenig überraschend wiederholte Putin, dass er nicht zufrieden sei. Das Kommuniqué des Kremls erklärte, dass Putin Macron mitgeteilt habe, dass der Westen die russischen Bedenken zur Ost-Erweiterung der NATO „nicht berücksichtigt“ habe.

„Die Schlüsselfrage, nämlich wie die USA und ihre Verbündeten […] das Prinzip einhalten wollen, nach dem niemand seine Sicherheit verstärken soll, wenn dies zulasten der anderen Staaten geht“, sei nicht beantwortet worden, erläuterte das Kommuniqué weiter.

Auf der französischen Seite klang das schon positiver. Das Telefonat zwischen den beiden Staatenlenkern, das mehr als eine Stunde gedauert hat, hat laut Paris „ermöglicht, sich darüber zu verständigen, dass eine Deeskalation notwendig sei. Präsident Putin hat keinerlei offensive Absicht kundgetan […]. Er hat klar gesagt, dass er keine Konfrontation beabsichtige“. Was die europäische Sicherheits-Strategie anbelangt, sind beide Staatschefs einig, „den Dialog weiterzuführen, was erfordere, dass die Europäer […] an diesem Dialog beteiligt sein müssen“, auch wenn dieser in erster Linie die USA und die NATO betrifft.

Nach dem Gespräch mit Macron erklärte die russische Seite, dass man sich in einer Phase des Nachdenkens befinde und dass man „künftige Reaktionen festlegen“ würde, nachdem man die Antworten der Gegenseiten detailliert analysiert habe.

Ein kleiner, aber seltener Fortschritt besteht darin, dass sich die Verhandlungsführer ein neues Treffen im Februar in Berlin angekündigt haben. Darin sieht Frankreich „ein gutes Signal“ Russlands, allerdings erfolgte diese Aussage noch vor dem Gespräch zwischen Emmanuel Macron und Wladimir Putin.

Dieses Gespräch zwischen Emmanuel Macron und Wladimir Putin scheint eine „französische Illusion“ zu sein, wenn Paris glaubt, dass Russland wirklich zuhören würde. Frankreich muss seine Beziehungen mit den europäischen Partnern und den USA stärken, um in Russland gehört zu werden, denn nur durch Stärke kann man in Diskussionen mit Putin bestehen.

In der Vergangenheit haben die Versuche solcher Dialoge mit Putin Frankreich nichts gebracht: In Syrien unterstützt das russische Regime mehr als je zuvor Bachar und in Afrika gibt es einen offenen Wettbewerb in den Regionen, die traditionell im französischen Einflussbereich lagen, und wo nun Söldner der russischen Wagner-Gruppe auftauchen, zunächst in der Zentralafrikanischen Republik und jetzt in Mali.

Wir müssen zunächst auf die Solidarität mit unseren europäischen Partnern und auch mit den USA setzen. Wir müssen eine echte europäische Verteidigung auf den Weg bringen und die transatlantischen Beziehungen stärken. Gegenüber Putin sollten wir als starker und geeinter Westen auftreten, denn nur dann wird Putin zuhören. Öffnen wir die Augen: Momentan versucht Moskau die Europäer klein zu reden und sogar zu beleidigen, indem er zum Thema Ukraine nur mit den USA verhandeln will.

Diese französische Illusion ist eine falsche Interpretation des gaullistischen Erbes. General de Gaulle hätte sich, was Putin anbelangt, keinerlei Illusion hingegeben. Im Mai 1920 war de Gaulle während des russisch-polnischen Krieges (der von Februar 1919 bis März 1921 dauerte) in Polen. Zunächst Zeuge dessen, was die polnische Bevölkerung erleiden musste, engagiert er sich danach aktiv in den Operationen mit General Bernard im 3. Büro der Armeegruppe Süd (dann Zentrum), die vom polnischen General Rydz-Śmigły befehligt wurde. Hier wurde de Gaulle lobend erwähnt. Nach dem polnischen Sieg, verfasste er einen allgemeinen Bericht über die polnische Armee. Bezüglich der Aktionen des einzigen Panzerregiments, das mit Panzern des Typs FT 17 ausgestattet war, schrieb er „Die Panzer müssen zusammen eingesetzt werden und nicht etwa verstreut“. In Polen erlebt de Gaulle vor allem die mobile Kriegsführung und den Einsatz großer Kavallerie-Einheiten als Schock-Element und als Mittel, Entscheidungen von strategischer Bedeutung herbeizuführen. Heute würde General de Gaulle die Ukraine unterstützen und einen allgemeinen Bericht über die hybride Kriegsführung verfassen!

Professor (h.c.) Olivier Védrine, Politikwissenschaftler, Journalist, Autor, Chefredakteur des Russian Monitor und Mitglied im Lenkungsausschuss des Vereins „Association Jean Monnet“. Dieser Artikel ist zuerst in englischer Sprache in der Kyiv Post unter diesem Link erschienen.

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