Die „Gelbwesten“ vor der Zerreißprobe

Der „Akt V“ am Wochenende war ein Flop für die „Gelbwesten“, die Unterstützung bröckelt. Sie müssen sich nun entscheiden, ob sie ein Ergebnis erreichen wollen oder nicht.

Die Bewegung der "Gelbwesten" muss an Schärfe und Profil gewinnen, will sie zum Akteur des sozialen Fortschritts in Frankreich werden. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Seit vier Wochen ist Frankreich in Aufruhr. Die „Gelbwesten“ blockieren wichtige Verkehrsknotenpunkte, lähmen den Verkehr und damit auch die Wirtschaft, reagieren kaum auf die Angebote zur Erfüllung ihrer Forderungen und scheinen sich mehr am Augenblick der Revolte zu berauschen als ernsthaft an einem nennenswerten sozialen Fortschritt zu arbeiten. Doch nach den Gewaltexzessen der letzten Wochen bröckelt nun die Unterstützung für die „Gelbwesten“ ab, da diese es nicht schaffen, mit einer gemeinsamen Stimme realistische Forderungen in Gespräche mit der Regierung zu bringen. Doch das sollten sie nun tun, da ansonsten das Risiko besteht, dass sich der gerechtfertigte Sozialprotest in Luft auflöst.

Man muss es den „Gelbwesten“ lassen – ohne ihre spektakulären Maßnahmen hätte sich die französische Regierung nicht um die aktuellen sozialen Fragen gekümmert – denn sozial schwache Menschen haben keine Lobby in den Machtzentralen. Der Druck der Strass wurde allerdings in diesen vier Wochen so groß, dass die Regierung gar nicht anders konnte, als umfassende Sozialreformen inklusive kurzfristiger Maßnahmen zu verkünden. Ein Erfolg für die „Gelbwesten“, den diese erstaunlicherweise gar nicht als solchen auffassten. Denn inzwischen wollten einige der „Gelbwesten“ mehr als den sozialen Fortschritt, sie wollen nun den Staat abschaffen. Und da hört dann auch die Unterstützung auf.

Die Bewegung der „Gelbwesten“ ist inzwischen in sich zerstritten und tritt sehr uneinheitlich auf. Demonstrierten am Samstag auf den Champs-Elysées „Gelbwesten“ zusammen mit ultrarechten, antisemitischen, xenophoben und verfassungsfeindlichen Extremisten des „Conseil National de Transition“, die ihrerseits die Armee (!) mit einem „SOS“ zum Eingreifen gegen die Polizeikräfte aufforderten, hört man nun auch Stimmen der so genannten „freien Gelbwesten“, denen die Gewalt bei den Demonstrationen und die zahlreichen Zwischenfälle an den Straßenblockaden der „Gelbwesten“ (inzwischen acht Tote) auch zu viel wird und die  ihre Kolleginnen und Kollegen zu Verhandlungen mit der Regierung auffordern. Und hier beginnen dann auch die Schwierigkeiten.

Denn viele der „Gelbwesten“ sind tatsächlich davon überzeugt, dass sie „das Volk“ sind und durch ihre Blockaden und Straßenkontrollen im Stile einer Miliz die Interessen ebendieses Volks verteidigen. Tatsache ist, dass wenn die „Gelbwesten“ bei der kommenden Europawahl anträten, sie auf 12 % der Stimmen kämen, also sicher einen Teil des „Volks“ darstellen, aber sich nicht „das Volk“ sind. Insofern haben sie auch keinerlei Mandat, Gewalt gegen das Volk und die Regierung auszuüben, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen, so gerechtfertigt manche dieser Forderungen auch sein mögen.

Die „Gelbwesten“ stehen nun vor einer grundsätzlichen Frage. Wollen Sie greifbare soziale Fortschritte erreichen? Dann müssen sie verhandeln, und um verhandeln zu können, müssen sie sich a) organisieren, b) dafür sorgen, dass es zu keinerlei Gewaltexzessen mehr kommt und c) die Blockaden auf den französischen Straßen räumen, damit der wirtschaftliche Schaden, den sie anrichten, nicht noch größer wird. Denn lange kann man es den Franzosen nicht mehr verkaufen, dass man kleinen und mittelständischen Firmen schadet, dort für Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit sorgt und gleichzeitig für den sozialen Fortschritt kämpft. Doch leider wird sich diese Frage nicht eindeutig beantworten zu lassen.

Das Hauptproblem der „Gelbwesten“ ist ihre Unfähigkeit, extremistische und gewalttätige Elemente in ihren Reihen zu identifizieren, zu isolieren und aus ihrer Bewegung zu entfernen. Was soll man davon halten, wenn Amtsträger der Rechtsextremen plötzlich Forderungslisten der „Gelbwesten“ präsentieren? Was soll man davon halten, wenn Gewalttäter bei Demonstrationen faktisch von der „friedlichen“ Menge geschützt werden? Was soll man von den „Kontrollen“ an den Blockaden halten, bei denen es zu Nötigungen, Beleidigungen und physischen Auseinandersetzungen kommt?

Innenminister Castaner hat es angekündigt – die besetzten Verkehrskreisel müssen geräumt werden, bevor sie vollends zu „Bidonvilles“ und einem Sicherheitsproblem werden. Und das Gesprächsangebot der Regierung liegt auf dem Tisch. Vieles an den Angeboten des Präsidenten muss überarbeitet und verhandelt werden – doch dazu braucht es Verhandlungspartner. Und die müssen die „Gelbwesten“ nun stellen und sie wären gut beraten, andere Sprecher für ihre Bewegung zu bestimmen als halb durchgeknallte Zeitgenossen, die von „Volksdiktaturen“ und anderen extremistischen Phantasien faseln.

Dabei sollten sich die „Gelbwesten“ schnell über eines klar werden – noch haben sie die Unterstützung einer Mehrheit der Franzosen für ihre sozialen Forderungen. Doch sollten die gewalttätigen Zwischenfälle weitergehen, werden die „Gelbwesten“ selbst zur Gefahr für die Demokratie in Frankreich. Innerhalb der nächsten Tage lässt sich die Fragestellung an die „Gelbwesten“ auf eine simple Frage reduzieren: „Wollt ihr Akteure des sozialen Fortschritts in Frankreich sein oder wollt ihr die Demokratie in Frankreich bekämpfen?“ Die Antwort auf diese Frage wird festlegen, wie es mit den „Gelbwesten“ weitergeht.

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