Die Gewalt der Sprache

Momentan und speziell in den Sozialen Netzwerken verroht unsere Sprache. Nicht so schlimm, sagen die einen. Das ist die Vorstufe zu physischer Gewalt, sagen die anderen.

Wir sollten zwei Gänge herunterschalten, wenn wir nicht eines Tages wieder solche Gedenksteine aufstellen wollen... Foto: Dietmar Rabich / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Die Nerven liegen bei vielen Menschen blank. Anderthalb Jahre Pandemie, die einen tiefen Riss durch die Gesellschaft zur Folge haben, nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern, insbesondere in Frankreich. In den Sozialen Netzwerken, aber auch im täglichen Leben, sind die Diskussionen von unglaublicher Schärfe, Familien zerstreiten sich, Freundschaften zerbrechen, es gibt nur noch eines, was zählt: die eigene Meinung. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann diese verbale Gewalt in Schlimmeres umschlägt. Da stellt sich die Frage, wie diese Entwicklung gestoppt werden kann.

In praktisch allen Ländern sind die Gesellschaften gespalten, in die „Guten“ (die Geimpften) und die „Schlechten“ (die Impf- und Impfpass-Gegner). Doch zum einen spiegelt diese Schwarz-Weiß-Malerei überhaupt nicht den Stand der Diskussionen wider, zum anderen ist die Aggression überhaupt erst von der Politik in die Debatte getragen worden. Man merkt, dass Wahlkampfzeiten sind und sich der eine oder andere dringend als „starker Mann“ gerieren muss, um ein paar Wählerstimmen zu sammeln.

Argumente werden schon lange nicht mehr ausgetauscht. Fragen bleiben offen, wobei die Impfkampagnen fast täglich neue Fragen aufwerfen, die generell nur noch mit Slogans vom Typ „Die Impfung ist der einzige Ausweg aus der Pandemie, basta!“ abgebürstet werden. Kein Wunder, gibt es doch auf die meisten Fragen keine Antworten. Zu jeder Meldung, die in den Leitmedien erscheint, gibt es innerhalb von Stunden Gegen-Expertisen, Gegen-Gegen-Expertisen, die in der Regel eines gemein haben – sie sind durch nichts gesichert oder gar bewiesen.

Zu den wenigen Tatsachen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, gehört die Erkenntnis, dass wir auch mit zwei Dosen Impfstoff das Virus einfangen und vor allem, an Dritte weitergeben können. Für einen Impfstoff ist das ein sehr seltsames Phänomen, das natürlich auch nicht erklärt wird. „Die dritte Dosis ist ein Booster“, heißt es und „vertrauen Sie uns einfach!“. Auch die über ein Jahr lang ständig wiederholte Formel „Schützen Sie sich und die anderen“ ist Makulatur – durch die Impfung schützt man im besten Fall sich selbst, aber niemand anderen.

Geradezu seltsam sind die Regelungen, nach denen für Geimpfte das „normale Leben“ weitgehen wiederhergestellt ist. Geimpfte dürfen überall hinein, in Kinos, Restaurants, Stadien, dabei sind von den drei Gruppen (Geimpfte, Genesene, Getestete) eigentlich die Geimpften die gefährlichste Gruppe. Das liegt daran, dass Geimpfte kaum noch getestet werden und da man weiß, dass sie weiterhin Dritte infizieren können, sind Geimpfte diejenige Gruppe, die unter geringster Kontrolle, bei größten Freiheiten, das Virus unerkannt weiter und ohne es zu wissen, verbreiten können. Dass man sich hierzu in der Bevölkerung Fragen stellt, ist normal. Dass es auf diese Fragen nur die ewig gleichen sinnentleerten Slogans als Antworten gibt, ist dagegen nicht normal. Dass Fragesteller als „Vaterlandsverräter“, „Egoisten“ und „unsozial“ abgestempelt werden, ist eine geradezu jämmerliche Strategie der politischen Kommunikation.

Und so beschimpft und beleidigt man sich gegenseitig und diese verbale Gewalt wird immer weiter vom politischen Diskurs befeuert. Diese Entwicklung ist höchst bedenklich, da sie noch im September in offene Gewalt umschlagen wird. Denn im September werden wir die Quittung für den permissiven Sommer präsentiert bekommen. Die vierte und fünfte Welle ist unterwegs und die politische Strategie ist klar – alle künftigen Maßnahmen und Einschränkungen werden den Nicht-Geimpften angelastet werden. Nicht etwa den Politikern, die anderthalb Jahre gelogen und gestümpert haben, sondern den Nicht-Geimpften, die als „Volksfeinde“ einiges zu erwarten haben.

Diese verbale Gewalt muss umgehend gestoppt werden. An der Pandemie sind weder die Nicht-Geimpften, noch die Geimpften und in fine, nicht einmal die Politiker Schuld. Wir sitzen im gleichen Boot und können diese Pandemie nur im internationalen Konsens wirkungsvoll bekämpfen. Dass Politiker aufgrund persönlicher Ambitionen den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstören, ist unerträglich und muss ein Nachspiel haben.

Schalten Sie einfach mal einen Gang ‚runter. Hören Sie auf, Andersdenkende zu beleidigen und beschimpfen. Seien wir ehrlich: Die Andersdenkenden wissen genauso wenig wie wir selbst. Unsere Überzeugungen haben wir aus den Leitmedien und je nachdem, welche Medien wir konsumieren, verfestigt sich diese Überzeugung. Mit „Wissen“ hat das nichts zu tun und der Satz „Die Impfung ist der einzige Weg aus der Krise“ ist ungefähr so schlau wie „Alle Geimpften sind Schafe“. Niemand, nicht einmal die Wissenschaftler, haben eine genaue Vorstellung von dieser Pandemie und deren weiterer Entwicklung. Wer in einer solchen Situation Andersdenkende angreift, drückt damit nur seine eigene Unsicherheit aus.

Lassen wir uns nicht spalten. Wir sollten nach belegbaren Fakten aus verschiedenen, unabhängigen Quellen suchen, wir sollten den Austausch suchen, wir sollten diskutieren, verstehen und versuchen zu lernen. All das ist allerdings nicht möglich, wenn wir uns weiterhin gegenseitig geringschätzen und beleidigen. Die nächste Stufe dieser Entwicklung wird brandgefährlich – denn wenn die Gewalt physisch wird, dann können schnell alle Dämme brechen. Genau das sollte man jetzt verhindern und jeder Einzelne kann dazu beitragen. Als erstes, indem man seine öffentliche Ausdrucksweise ändert. Dankeschön.

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