Die große mündliche Prüfung

Emmanuel Macron verbrachte gestern Abend die wohl schwierigsten 13 Minuten seiner politischen Karriere. 13 Minuten, um ein Land in Aufruhr zu befrieden.

So ganz ohne Pomp und Circumstances geht es bei Macron nicht - aber dafür hat er ein umfangreiches Angebot an die "Gelbwesten" gemacht. Foto: ScS EJ

(KL) – Das war alles andere als einfach für Emmanuel Macron, gestern Abend zur Prime Time vor den TV-Kameras zu versuchen, gleichzeitig den Aufruhr der „Gelbwesten“ zu befrieden, deren völlig nachvollziehbare soziale Forderungen zu erfüllen, das gestörte Verhältnis zu seinen Landsleuten zu kitten und gleichzeitig auch noch seine eigene politische Zukunft zu retten. Ziemlich viel davon hat er in seiner Ansprache an die Nation richtig gemacht und ziemlich geschickt den Ball in die Spielhälfte der „Gelbwesten“ gespielt – diese müssen jetzt entscheiden, ob sie die geforderten sozialen Verbesserungen realisieren wollen oder ob sie es auf einen Umsturz absehen, gegen den sich die Französische Republik mit allen Mitteln zur Wehr setzen wird.

Die Maßnahmen, die Macron ankündigte, müssen ihn sehr viel Überwindung gekostet haben. Denn immerhin wird Macron zur Finanzierung dieser Maßnahmen genau das tun müssen, wofür gerade die EU Italien abstraft – die Nichteinhaltung der Stabilitätskriterien zur Finanzierung sozialer Maßnahmen. Oder anders gesagt: soziale Maßnahmen auf Kredit. Für den ultraliberalen Macron eine Abkehr von heiligen Prinzipien.

Bei den Maßnahmen hat Macron praktisch alle sozialen Problemfelder angesprochen, die seit Wochen von den „Gelbwesten“ in den Mittelpunkt gestellt wurden: Mindestlohnempfänger erhalten ab Januar 100 € mehr im Monat; die Erhöhung der Sozialabgaben für Rentner wird für alle rückgängig gemacht, die weniger als 2000 € Rente beziehen; Überstunden werden von Steuern und Sozialabgaben befreit; die Unternehmen werden aufgefordert, ihren Mitarbeitern eine Jahresendprämie zu zahlen, die ebenfalls steuer- und sozialabgabenfrei ist und dazu kündigte Macron an, dass künftig die multinationalen Konzerne für Gewinne, die in Frankreich erwirtschaftet werden, auch in Frankreich Steuern zahlen müssen.

Das ist deutlich mehr als ein Gesprächsangebot und mit dieser ausgestreckten Hand werden sich die „Gelbwesten“ nun positionieren müssen. Hatten sie bisher mit ihrer eigenen Unorganisiertheit kokettiert und mit der “Vielfalt des Volks” erklärt, werden sie jetzt entweder konstruktiv und ernsthaft an der Umsetzung dieser und weiterer sozialer Fortschritte mitwirken, oder aber sich weiter radikalisieren und von allen möglichen Extremisten und Brandstiftern angestachelt einen gewaltsamen Umsturz inszenieren.

Teile der „Gelbwesten“, eben diejenigen, die eigene politische Ziele auf dem Rücken der Unzufriedenheit der sozial Benachteiligten befördern wollen, fordern weiterhin den Rücktritt des Präsidenten, die Auflösung des Parlaments und die Einführung einer diffusen „Referendums-Diktatur“, also eine Art institutionalisierter Populismus, der dann in die Hände eines totalitären Führers oder einer Führerin führt, wie so oft in der Geschichte der Menschheit.

Der angekündigte „Acte V“, also der 5. Akt der gewaltsamen Demonstrationen in Paris und anderen Städten am kommenden Samstag, sollte durch transparente Gesprächsrunden ersetzt werden, in denen die Umsetzung der Maßnahmen im Detail vorbereitet wird. Wer stattdessen zur Randale in die Hauptstadt oder in die anderen Städte fährt, muss wissen, dass es dabei nicht mehr um den sozialen Fortschritt, sondern um den Versuch eines Bürgerkriegs geht. Dass solche Versuche eines gewaltsamen Umsturzes vom Staat relativ heftig abgewürgt werden, dürfte niemanden verwundern. Insofern wäre es für Frankreich gut, würde nun tatsächlich die Vernunft einziehen. Und zwar möglichst schnell.

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