Die Justiz kann keine politischen Probleme lösen

Durch die völlig überzogenen Urteile gegen 12 katalanische Separatisten hat die Madrilener Justiz Öl ins Feuer des Konflikts zwischen Katalonien und Spanien gegossen. Ein Ende ist nicht abzusehen.

"Nur Diktaturen sperren gewaltfreie politische Führer ein" - die Fans im berühmten Nou Camp haben nicht Unrecht... Foto: kallerna / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Katalonien und speziell Barcelona werden so schnell nicht zur Ruhe kommen. Praktisch täglich demonstrieren Hunderttausende für die Unabhängigkeit Kataloniens und vor allem, für die Freilassung der 12 politischen Gefangenen, denn anders kann man die Verurteilten nicht nennen. Doch nicht nur die Befürworter der Unabhängigkeit demonstrieren in Barcelona – am Wochenende gingen auch Zehntausende in Barcelona auf die Straße, um für die Einheit Spaniens zu demonstrieren. Die Situation droht allerdings irgendwann umzukippen, denn nach den Massendemonstrationen wird es voraussichtlich zu militanten Aktionen von Gruppierungen wie dem „Tsunami democratico“ kommen, der bereits jetzt in den Sozialen Medien Hunderttausende „Follower“ hat.

Der Konflikt eskaliert immer weiter. Verweigerte Spanien zunächst drei demokratisch gewählten Europaabgeordneten aus Katalonien den Einzug ins Europäische Parlament, wobei sich dieses äußerst ungeschickt anstellte, indem es den drei Abgeordneten in Brüssel durch den Sicherheitsdienst den Zutritt zur Vor-Akkreditierung verweigerte, so war der politische Prozess das nächste Element, um die Schraube der Eskalation weiter zu drehen. Die ausgesprochenen Haftstrafen zwischen 9 und 13 Jahren Haft für Politiker, die zwar radikal, aber gewaltfrei agierten, die keineswegs gewöhnliche Kriminelle sind, aber wie Schwerverbrecher bestraft werden, konnten zu gar nichts anderem führen als den aktuellen und kommenden Unruhen.

Weiterhin weigert sich die kommissarische Regierung in Madrid (für November sind wieder einmal Neuwahlen angesetzt, bei denen es in Katalonien zu einem Erdrutschsieg für die Separatisten kommen wird), den Dialog mit den katalanischen Separatisten zu führen. Regierungschef Pedro Sanchez ließ die katalanische Regierung wissen, dass man erst zu Gesprächen bereit sei, wenn sich der Präsident der Regionalregierung Quim Torra in aller Form von der Gewalt bei den letzten Demonstrationen distanziert habe. Doch hier stoßen zwei Narrative aufeinander. Madrid beschuldigt die Separatisten der Gewalt, Katalonien beschuldigt die spanischen Sondereinheiten der völlig überzogenen Gewalt. Würde Quim Torra nun eine entsprechende Erklärung abgeben, würde er sich in Katalonien des Kniefalls vor Madrid schuldig machen. Doch glaubt Madrid wirklich, das Streben der Katalanen militärisch beenden zu können?

Nun ist es inzwischen fast überall gang und gäbe, dass sich der Staat gegen die auf der Straße ausgedrückte Unzufriedenheit mit Gewalt wehrt. Gummigeschosse, Tränengas, Knüppeleinsätze – die Bilder aus Hong Kong, Moskau, Südamerika, Paris und Barcelona gleichen sich. Doch ist Autoritarismus die Antwort auf grundlegende gesellschaftliche Probleme?

Das Streben der Katalanen nach Unabhängigkeit ist zwar in einer globalisierten Welt fast ein Anachronismus, doch ist dieses Streben bereits sehr alt. Natürlich denken viele Menschen in Katalonien an den blutigen Bürgerkrieg in den 30er Jahren, als die Frankisten die Republikaner in Katalonien mit Hilfe der Nazis abschlachteten. Das Gefühl, von Spanien „besetzt“ zu sein, lässt sich nicht mit Gummiknüppeln beenden.

Die Weigerung der Regierung in Madrid, mit der katalanischen Regierung in einen konstruktiven Dialog zu treten, wird zu weiteren Eskalationen führen. Doch außer dem Dialog gibt es keine weitere Option, um eine Entwicklung wie damals im Baskenland zu verhindern. Und ein solcher Dialog muss zwangsläufig zur Aufhebung der Urteile gegen die Separatistenführer führen – es kann nicht sein, dass ein EU-Mitglied im Jahr 2019 politische Prozesse führt, politische Gefangene zu Märtyrern macht und einen Konflikt startet, der bis zum Bürgerkrieg führen könnte. In dieser Situation den Dialog zu verweigern und stattdessen Elitetruppen nach Katalonien zu schicken, das dürfte in Barcelona wie eine Kriegserklärung aufgefasst werden.

Momentan geht es noch nicht einmal um die Frage der Unabhängigkeit. Diese kann man unter ganz verschiedenen Aspekten betrachten. Es geht auch noch nicht um die Frage, ob es Spanien der Provinz Katalonien gestattet, ein weiteres, dieses Mal legales Referendum über seine Unabhängigkeit durchzuführen. Dies ist, juristische betrachtet, verfassungswidrig und daher muss im gemeinsamen Gespräch ausgelotet werden, was überhaupt möglich ist. Allerdings sollten beide Seiten bemüht sein, die Spirale der Eskalation zu beenden und dafür sorgen, dass es nicht schon bald zu Anschlägen und weiteren Straßenschlachten kommt. Die Gefahr, dass die Situation in Katalonien vollständig aus dem Ruder läuft, ist sehr konkret.

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