Die „Katalonisierung“ Europas geht weiter

Die Autonomisten in den verschiedenen Regionen Europas jubeln – bei der Gebietswahl auf Korsika haben die Autonomisten im ersten Wahlgang einen Sieg errungen.

Ob der Weg in die Kleinstaaterei wirklich zukunftsfähig ist, bleibt dahingestellt... Foto: Jean-Pol GRANDMONT / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Bröckelt Europa nun Stückchen für Stückchen auseinander? Am Wochenende fand der erste Wahlgang der „Gebietswahlen“ („élections territoriales“) auf Korsika statt, wo am 1. Januar die beiden bislang existierenden Departements zu einem einzigen Departement zusammengefasst werden. Bei einer schwachen Wahlbeteiligung (52,17 %) positionierten sich die Autonomisten der Liste „Pè a Corsica“ („Für Korsika“) mit 45,36 % der Stimmen als Favoriten für den zweiten Wahlgang. Doch wie in Katalonien fällt es schwer, dieses Viertel der wahlberechtigten Stimmen als einen Auftrag zur Unabhängigkeit zu verstehen.

Das politische Schrumpfen auf immer kleinere Zusammenhänge geht weiter. Was in deutschen Geschichtsbüchern für die Zeit des 18. und Teile des 19. Jahrhunderts als „Kleinstaaterei“ bezeichnet wurde, scheint nun zu Beginn des 21. Jahrhunderts der große Renner zu werden – „Zurück in die Zukunft 5“.

Doch lohnt es sich, einen Blick in die Geschichtsbücher zu werfen – die Epoche der „Kleinstaaterei“ war alles andere als paradiesisch. Vor der Gründung des Deutschen Reichs bestand das, was wir heute als Deutschland kennen, aus rund 350 selbstständigen Staaten, deren Größe vom mächtigen Preußen oder Sachsen bis zur Abtei Isny im Allgäu reichte – und abgesehen davon, dass jeder dieser kleinen Staaten seine eigene Politik, Währung, Steuern und politischen Interessen hatte, sollte man sich erinnern, dass diese Zeit von ständigen Konflikten und Kriegen geprägt war. Wollen wir wirklich wieder dorthin zurück?

Diese neue Bewegung hin zur Autonomie kleinerer Regionen ist eine Resilienzbewegung auf die Schaffung neuer, immer größerer Zusammenhänge, die zu abstrakt sind, als dass man sich persönlich mit ihnen identifizieren könnte. Wer oder was ist die Europäische Union? Wer oder was ist die UNO? Wo stehen wir in der Globalisierung? Und da es auf diese Fragen kaum sinnvolle Antworten gibt, flüchtet man eben in überschaubare Strukturen, die man kennt und vor allem versteht. Nur – dieser neue Regionalismus führt nirgends hin.

Ein europäischer Flickenteppich aus lauter kleinen und kleinsten Regionen kann nicht die Lösung für die Probleme Europas sein, im Gegenteil. Wenn man sieht, wie schwierig es ist, alleine 27 oder 28 Länder zu einer gemeinsamen, sinnvollen Politik zu kommen, dann ist klar, dass eine gemeinsame Politik gar nicht mehr möglich ist, wenn sich die europäischen Staaten in diese „regionale Zellteilung“ begeben und es zukünftig nicht 27 oder 28 Staaten in Europa gibt, sondern 40, 50 oder 60.

Die Identifikation mit der Region, in der man lebt, ist als solches etwas sehr Positives, Kulturelles, Identitäres im positiven Sinn. Auch die Identifikation mit dem Land, in dem man lebt, ist nicht negativ, sofern sie nicht in eine Art überheblichen Nationalismus umschwenkt, wie man ihn gerade überall in Europa beobachten kann. Doch die Identifikation mit europäischen Werten sollte die gemeinsame Grundlage für ein gemeinsames Europa darstellen – denn nur in einem europäischen Kontext wird es möglich sein, die künftigen globalen Herausforderungen zu meistern.

Doch aktuell sieht es so aus, als könne nichts die „Katalonisierung“ Europas stoppen. Und ähnlich wie beim „Brexit“ wird man erst dann verstehen, dass dies ein Irrweg ist, wenn alles aus dem Ruder gelaufen sein wird. Armes Europa.

2 Kommentare zu Die „Katalonisierung“ Europas geht weiter

  1. Das kann man auch positiv sehen. Die Grenzziehung von Nationalstaaten verlief häufig entlang der Blutspur von Konflikten oder irgendwelchen Versailler Verträgen. Europaweit. Wenn sich heute kleinere Gebilde formen mit dem Willen, in Europa friedlich und miteinander zusammenzuleben kann ich daran nichts schlechtes erkennen. Die Zeiten ändern sich.

  2. Interessanter Blickwinkel. Die Zukunft wird zeigen, ob aus diesen Bewegungen tatsächlich der friedliche europäische Flickenteppich entsteht oder ob es der Weg zurück in blutige Kleinstaaterei wird. Oder irgendwas dazwischen…

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