Die kenn’ ich nicht… – Verdi in der Rheinoper

Eine unbekannte Oper von Verdi? Doch es gibt sie – und sie spielt in Deutschland. Und sie wird nun zum ersten Mal überhaupt in Frankreich aufgeführt, und zwar ab kommenden Sonntag in der Rheinoper von Straßburg.

Stiffelio, Verdis große Unbekannte über den altbekannten Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Vergebung in der Rheinoper. Foto: Plakat zur Oper Ausschnitt / Opéra National du Rhin

(Michael Magercord) – Wir werden uns einander viel verzeihen müssen… Ein Satz wie in Stein gemeißelt, medienwirksam ausgesprochen zuletzt vom deutschen Gesundheitsminister am Beginn der Pandemie – und sofort hagelte es Kritik: Er wolle damit nur vorab schon einmal Vergebung für seine eigene Person einfordern. Das nennt man wohl „selbstgerecht“. Doch seien wir an dieser Stelle stattdessen „ungerecht“: Zwischen Menschen kann es nämlich nur halbwegs friedlich und vernünftig zugehen, wenn man auch einmal ungerecht ist und verzeiht.

Und was das jetzt mit Giuseppe Verdi zu tun, der uns Werke wie Rigoletto, Aida oder Nabucco beschert hat? Um die Jahrhunderthälfte suchte der bereits gefeierte Opernkomponist ein neues Thema, das ihn etwas abseits der üblichen, aber eben auch beliebten Verstrickungsgeschichten bringen sollte. Er fand es in der Geschichte der französischen Autoren Émile Souvestre und Eugène Bourgeois über den strenggläubigen evangelischen Pfarrers Stiffelio, der von seiner Frau betrogen wurde und nun vor der Entscheidung stand, wie er damit umgehen sollte: Strafe, Unerbittlichkeit oder eben doch Barmherzigkeit. Am Ende eines langen inneren Kampfes entschied er sich für die Vergebung und konnte damit zwar nicht mehr seine Ehe retten, doch aber seinen Seelenfrieden finden.

Als Ort der Handlung entschied sich der Librettist Francesco Maria Piave für Deutschland, zumindest ist das in der ersten Szene so zu deuten, denn man sieht der Geistlichen vertieft in ein Buch des urdeutschen Schriftstellers Friedrich Gottlieb Klopstock. Das Land und seine Literatur schienen die richtige Umgebung für das moraline und sogleich auch menschliche Drama abzugeben. Denn der Geistliche in der Geschichte sollte ein evangelischer Pfarrer sein, und der Autor seines Lesestoffs war zwar ein Apologet der geistigen Aufklärung, allerdings nicht der Vernunft, sondern der Empfindsamkeit, ist er doch der Erfinder des schönen deutschen Wortes „Innerlichkeit“. Und genau der inneren Bewegungen bis zum Übermaß zu gehorchen, unterstellte man damals zuvorderst den Deutschen, und vor allem den Protestanten. Die Reformation galt als Ausdruck des Sieges der Innerlichkeit über die äußeren Mächte, die Ermächtigung des eigenen Urteils gegenüber jenes einer zentralen Institution. Doch wer nun seinem Inneren gehorcht, der setzt sich damit der Bürde aus, jenen Akt ganz aus sich selbst zu vollziehen, der dem Gerechtigkeitsgefühl entgegensteht: die Vergebung.

Damit wäre zu dieser Oper eigentlich fast alles gesagt und man dürfte es nun getrost dem Regisseur Bruno Ravella und der Sängerin und den Sängern überlassen, wie sie sich diesem inneren Konflikt nähern und ihn nach Außen auf die Bühne bringen, ja wenn da nicht noch die Geschichte der Oper selber wäre, die ebenfalls viel Zündstoff für die Kernfrage des Werkes in sich trägt. Schon vor seiner Uraufführung in Triest, dem habsburgischen Italien, geriet das Werk in den Strudel der konfessionellen Auseinandersetzung. Verboten von der Zensur, weil sie eben nicht katholisch war, ein Geistlicher nicht verheiratet sein kann, und wenn doch, dann dürfte diese Person nicht auf offener Bühne aus dem Evangelium zitieren.

Die Uraufführung im Februar 1850 war eine Pleite, für weitere Aufführungen wurden weitere Umarbeitungen gefordert, was schließlich so weit ging, dass Stiffelio kein Prediger mehr sein sollte, sondern ein Minister namens Guglielmo Wellingrode. Der angesehene Tonsetzer gab auf, zog sein Werk zurückzog und zerstörte die Partitur. Das Leben ließ sich Verdi aber nicht vermiesen und blieb ein hochproduktiver Opernkomponist – vielleicht ist ja auch diese Art des Umgangs mit dümmlichen Ungerechtigkeiten eine Form der Vergebung.

Stiffelio jedenfalls verschwand in Archiven. Und es wäre beinahe für immer dort verborgen geblieben, wenn nicht Anfnag der 1960er Jahre in der Bibliothek des Konservatoriums Neapel ein originales Exemplar des Librettos und der Partitur aufgefunden worden wäre. Trotzdem ist es seit der ersten Wiederaufführung 1968 nur zu wenigen Inszenierungen gekommen, in Frankreich wird dieses Werk des Meisters sogar erst mit dieser Straßburger Reprise zu seiner Erstaufführung gelangen – und wir dürfen dabei sein! Und damit stellt sich uns hier in Straßburg, Mülhausen und Umgebung also nur noch die eine Frage: Könnte man es sich verzeihen, nicht dabei gewesen zu sein?

Stiffelio – Oper von Giuseppe Verdi

Musikalische Leitung: Andrea Sanguineti
Inszenierung: Bruno Ravella

Syphonieorchester Mülhausen
Chor der Rheinoper

Strasbourg – Opéra
SO 10. Oktober 15.00 Uhr
DI 12. Oktober 20.00 Uhr
DO 14. Oktober 20.00 Uhr
SA 16. Oktober 20.00 Uhr
DI 19. Oktober 20.00 Uhr

Mulhouse – La Filature
SO 7. November 15.00 Uhr
DO 9. November 20.00 Uhr

Infos und Tickets unter www.operanationaldurhin.eu

HINWEIS:
Wie gewohnt an dieser Stelle die Corona-News, denn ja, tatsächlich gibt es doch wieder eine Änderung zu vermelden. Und zwar beim OPS: Das Abonnentenkonzert der Philharmonie Straßburg am Donnerstag und Freitag, den 7. und 8. Oktober, wird nicht wie angekündigt Mahlers 2. Symphonie erklingen lassen. Die geltenden Hygienemaßnahmen lassen den großen Aufzug von Chor und Orchester nicht zu. Stattdessen werden Richard Wagners Siegfried Idyll und seine Wesendoncklieder sowie eine Bearbeitung der Bizet-Oper „Carmen“ als Orchester-Suite unter dem Taktstock von Claus Peter Flor zu hören sein. Und nicht vergessen: Der Pass Sanitaire bzw. Impf-, Test- oder Genesenen-Nachweis ist bei allen Kulturveranstaltungen vozulegen.

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