Die letzten Nazi-Prozesse

Die Staatsanwaltschaft im norddeutschen Itzehoe ermittelt gerade gegen eine 94jährige Schreibkraft, die im KZ Stutthof tätig war. Trotz ihres Alters gilt für die Frau Jugendstrafrecht.

Hinter diesem Stacheldraht im KZ Stutthof starben 65.000 Menschen. Foto: User: Wtshared-Jake73 at wts wikivoyage / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – „Jetzt lasst doch die alte Frau in Ruhe!“, denkt so mancher, wenn es um die Frau geht, gegen die gerade wegen des Verdachts zur „Beihilfe zum Mord“ ermittelt wird. Die Frau hat von 1943 bis 1945 in der Schreibstube des KZ Stutthof bei Danzig gearbeitet und da sie damals noch sehr jung war, würde ein Verfahren, wenn es denn stattfindet, vor einer Jugendstrafkammer durchgeführt werden. Und nein, die Frau kann man nicht in Ruhe lassen und die Verfahren gegen die alten Nazis müssen durchgeführt werden, egal wie alt die Angeklagten sind. Denn eines muss den Henkern und ihren Helfern in allen totalitären Systemen der Welt klar sein – Verbrechen gegen die Menschlichkeit verjähren nie. Auch nicht im hohen Alter.

Natürlich ist es heute schwer, so etwas wie individuelle Schuld festzustellen, vor allem, wenn es um TäterInnen geht, die zum Zeitpunkt der Tat sehr jung und völlig von der Nazi-Propaganda eingelullt waren. Staatsanwalt Peter Müller-Rakow sagte dann auch einen völlig richtigen Satz: „Es kommt darauf an, was sie dort tatsächlich geschrieben hat“ – dass sie Teil der Nazi-Tötungsmaschine war, scheint klar zu sein.

Auch, wenn das KZ Stutthof weniger bekannt ist als die Lager in Auschwitz, Treblinka oder Dachau, so wurden dort dennoch rund zwei Drittel aller dorthin verschleppten Polen, russischer Kriegsgefangener und Juden entweder durch Genickschuss oder durch Gas getötet. Besonders perfide dabei ist, dass das Töten im KZ Stutthof erst im Sommer 1944 begann, als der Krieg praktisch verloren war und sich die Nazis beeilten, in den Kzs Zeugen ihres Mordens zum Schweigen zu bringen.

Dass eine fast noch jugendliche Schreibkraft nicht unbedingt selbst eine Mörderin ist, das sei zugestanden und vielleicht bringt der Prozess dies ans Tageslicht. Immerhin werden gerade weltweit die letzten überlebenden Zeugen befragt, um die Rolle dieser Frau besser zu verstehen. Doch kritikloser Teil einer Tötungsmaschine zu sein, bereits das begründet ein Verfahren, denn hätten sich alle Handlanger dieses mörderischen Systems geweigert, diese Verbrechen auszuführen, wäre es schwierig gewesen, sie bis zum bitteren Ende gnadenlos durchzuziehen.

Das KZ Stutthof ist ins Fadenkreuz der Zentralstelle für die Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg gerückt. Zwar wurde letztes Jahr ein Prozess gegen einen ebenfalls 94jährigen Wachmann in Stutthof vor dem Gericht in Münster wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt, doch bereits in wenigen Tagen beginnt ein weiterer Prozess gegen einen heute 92jährigen SS-Wachmann, dem für den Zeitraum 1944/45 „Beihilfe zum 5230fachen Mord“ vorgeworfen wird. Nun ist die Lage bei SS-Wachleuten noch einmal anders gelagert, denn in die SS wurde man nicht eingezogen, sondern man meldete sich zur SS und wurde dann entweder genommen oder auch nicht. Was bedeutet, dass man als SS-Mann freiwillig und aus Überzeugung in einem KZ tätig war.

Ja, die Angeklagten in den letzten Nazi-Prozessen sind alt. Doch das ist kein Grund, sie nicht zu verfolgen. Es ist schändlich, dass die deutsche Justiz diesen Schergen des verbrecherischen Nazi-Regimes ein sorgenfreies Leben bis ins hohe Alter gestattet hat, doch all das sind keine Gründe, die Verfahren gegen diese Menschen nicht zu führen. Wo immer es heute noch möglich ist, Nazi-Verbrecher vor Gericht zu stellen, muss dieses auch geschehen. Alleine schon aus Respekt vor den 65.000 Opfern des KZ Stutthof, von denen keines in den Genuss kam, 94 Jahre alt zu werden.

3 Kommentare zu Die letzten Nazi-Prozesse

  1. “Doch kritikloser Teil einer Tötungsmaschine zu sein, bereits das begründet ein Verfahren, denn hätten sich alle Handlanger dieses mörderischen Systems geweigert, diese Verbrechen auszuführen, wäre es schwierig gewesen, sie bis zum bitteren Ende gnadenlos durchzuziehen.”
    Dieser Satz ist mehr als zynisch. Es glaubt doch keiner im Ernst, man hätte sich weigern können? Und eine jugendliche schon gar nicht. Eine junge Schreibkraft als Teil einer Tötungsmaschine anzusehen, hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Dies ist blanker Hass ohne Verstand.
    Wir wissen doch ganz genau das etliche ermordet wurden die sich geweigert oder gegen das Naziregime sich aufgelehnt haben. Und die, welche vor den repressalien Angst hatten, sind dann eben als 17 jährige an die Schreibmaschnine oder auf den Wachturm. Aus Angst erschossen zu werden und die Familie gleich mit. Was jetzt betrieben wird, ist der Versuch es so aussehen zu lassen, man jagt Naziverbrecher und bringt sie vor Gericht, nachdem man früher in den 50igern und 60igern Jahren sie hat laufen lassen. Die Kleinen hängt man, die Großen lies man laufen.

    • Eurojournalist(e) // 17. Dezember 2019 um 19:47 // Antworten

      Ist es nicht genau so zynisch, die Verantwortung für ein mörderisches System, begangen von Verbrechern, die durch demokratische Wahlen an die Macht kamen, nur an einer Handvoll Nazi-Spitzen festzumachen? Nach dem Motto “das waren die, alle anderen waren nur kleine Rädchen”? Einverstanden, dass man die schlimmsten Täter in den 50er und 60er Jahren laufen liess, was ein Skandal war, der deshalb möglich wurde, weil die deutsche Nachkriegsjustiz immer noch in der Hand der alten Nazis war, ebenso wie grosse Teile der Verwaltung. Aber das “Weisswaschen” aller kleiner Rädchen ist dann doch auch eine sehr verengte Sichtweise. Ohne all die Rädchen hatten es die Nazis nicht geschafft, diese irrsinnige Tötungsmaschine ins Laufen zu bringen. Und alle haben an ihrer Stelle dazu beigetragen, dass diese Maschine funktionieren konnte. Totalitäre Systeme leben nun einmal von all diesen vielen kleinen Rädchen und es wäre wünschenswert, wenn man endlich einmal diese Lektion der Geschichte lernen würde. Bevor sich die Geschichte wiederholt.

  2. Ich finde die verspäteten Prozesse gegen die kleinen Rädchen im Getriebe des Nazi-Unrechtsregimes ausgesprochen gut. Denn jeder, der mitgemacht hat, egal, in welcher Funktion, hat das System am Leben erhalten.
    Und deshalb ist es bei einem Schuldspruch wichtig, dass wir mit dem DDR-Unrechtsregime weitermachen. Jede Sekretärin, die in der DDR bei der Stasi, den Grenztruppen oder in Gefängnissen, wie Hohenschönhausen, gearbeitet hat, hat mitgeholfen, das Unrechtsregime der DDR und dessen Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufrechtzuerhalten.
    Und darum gehören Menschen, die schon in der DDR politische Verantwortung gehabt haben, wie z.B. Merkel, Schwesig, Göring-Eckhardt, … auf die Anklagebank. Dann wird der Gerechtigkeit genüge getan.

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