Die Merz-Zitterpartie

Das war etwas für die Geschichtsbücher – der Kanzlerkandidat der „Kleinen Koalition“ Friedrich Merz verlor den ersten Wahlgang der Kanzlerwahl – 18 Abweichler hatten gegen ihn gestimmt.

Wackelpudding – so etwa sah die Konsistenz der Knie des Friedrich Merz nach dem ersten Wahlgang gestern aus. Foto: PantheraLeo1359531 / Wikimedia Commons / CC-BY 4.0int

(KL) – Das hat es in der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben – dass ein Kanzlerkandidat nach erfolgreichen Koalitionsverhandlungen nicht die Mehrheit seiner eigenen Koalition erhält, wie gestern im ersten Wahlgang zur Wahl des Bundeskanzlers. Das war in der Tat ein Novum. Dass es dann Stunden später im zweiten Wahlgang klappte, dürfte war bei Friedrich Merz für Erleichterung gesorgt haben, doch kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch nie ein deutscher Bundeskanzler schlechter in sein Amt gestartet ist.

Knappe erste Wahlgänge bei der Kanzlerwahl, das haben schon ganz andere erlebt, von Helmut Schmidt über Helmut Kohl bis Angela Merkel, aber einen verlorenen ersten Wahlgang, da musste schon Friedrich Merz kommen. Dass der Mann kein Sympathieträger ist, das zeigt seit Wochen jede Umfrage – rund zwei Drittel der Deutschen können mit dem politisch unerfahrenen ehemaligen BlackRock-Manager und seiner spröden Art nichts anfangen. Aber dass ihn selbst Teile seiner eigenen, mühsam gezimmerten Koalition nicht mögen, das war überraschend.

Immerhin 18 Abgeordnete aus CDU/CSU-SPD hatten in diesem ersten Wahlgang für die Geschichtsbücher gegen ihren Kandidaten gestimmt und da es sich um eine geheime Abstimmung handelte, werden wir nie erfahren, wer diese 18 waren. Was folgte, waren stundenlange Appelle an die Verantwortung der Abgeordneten, das Gefeixe der AfD, das zufriedene Grinsen bei Grünen und Die Linke, deren Stimmen Merz plötzlich brauchte, um gestern noch den zweiten Wahlgang zu organisieren. Dass es nach dem zweiten Wahlgang dann doch noch reichte, war definitiv nicht dem Kandidaten Merz geschuldet, sondern der Angst der Abgeordneten vor Neuwahlen, bei denen man befüchtete, dass die AfD einen Durchmarsch macht.

Doch wie will Deutschland die selbstverordnete Rolle eines Stabilitäts-Faktors im durchgeschüttelten Europa spielen, wenn das Regierungsgebilde derart schwach ist? Künftig wird Merz bei jeder Abstimmung im Bundestag befürchten müssen, dass er keine Mehrheit bekommt. „Stabil“ ist etwas anderes…

Für die „gesichert rechtsextreme“ AfD war der gestrige Tag ein Hochgenuss. Denn die immer klarer manifestierte Schwäche der neuen Koalition ist nichts anderes als ein Zwischenschritt der AfD auf dem Weg zur Macht. Allzu viele Niederlagen im Bundestag wird sich Friedrich Merz nicht leisten können und auch nicht sehr viele Fehler wie im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen, als er es für nötig hielt, zur Frage der Migration ausgerechnet die Stimmen der AfD einzuholen.

Und somit erhält Deutschland nicht etwa eine stabile Regierung, mit der es eine stabilisierende Rolle in Europa spielen kann, sondern eine wackelige Regierung unter einem schwachen Kanzler, der jederzeit über seine eigenen Füsse stolpern kann. Das verspricht nicht viel Gutes für die nächsten vier Jahre. Wenn es dann vier Jahre werden…

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