Die Nacht, als die Angst in Straßburg einzog
Kaum zu glauben, dass der Anschlag rund um den Straßburger Weihnachtsmarkt am 11. Dezember 2018 erst drei Jahre her ist. Ein traumatisches Datum…

(KL) – Jeder in Straßburg erinnert sich an diesen Abend des 11. Dezembers 2018, kurz vor 20 Uhr, als die Adventszeit brutal durch einen mörderischen Amoklauf unterbrochen wurde. Der Amokläufer, ein junger Kleinkrimineller, wurde nach zwei albtraumartigen Tagen von der Polizei erschossen. 5 Menschen wurden von dem jungen Mann getötet, 11 weitere verletzt und 300.000 Straßburger traumatisiert. Seit dem 11. Dezember 2018 hat sich Straßburg verändert. Heute findet eine kleine Gedenkveranstaltung für die Opfer dieses Amoklaufs statt, um 16 Uhr in der Rue des Orfèvres, von wo aus die Teilnehmer die verschiedenen Orte dieses Amoklaufs besuchen und dort Blumen, Steinchen und andere Dinge zum Andenken deponieren werden.
Um 19h57 erhielt ich einen Anruf einer meiner Redaktionen – „du wohnst doch in der Innenstadt, geh schnell zum Kléber-Platz, da ist irgendwas passiert!“. Vier Minuten später war ich auf dem zentralen Platz der Stadt und ein unwirkliches Bild präsentierte sich mir. Mitten im Weihnachtsmarkt war der zentrale Kléber-Platz menschenleer, die Stände waren noch offen, auf einem stand selbst noch die offene Kasse. Es war offensichtlich, dass die Menschen diesen Platz in Panik verlassen hatten. Vor der Rue des Grandes Arcades war bereits eine Polizeiabsperrung und dahinter standen mehrere Rettungswagen mit eingeschaltetem Fernlicht, so dass man nicht erkennen konnte, was 100 Meter weiter passierte. Dazu eine unwirkliche Stille. Ich fotografierte in das gleißende Licht hinein, ohne etwas zu erkennen, überzeugt das diese Gegenlichtfotos nichts zeigen würden. Polizisten und bewaffnete Soldaten liefen über den Platz. Unverständliche Befehle wurden gerufen, und die Stille wurde nur von den Sirenen der Rettungswagen durchbrochen.
Ich lief weiter in Richtung Grand’Rue, vorbei am Kino „Cinéma Odyssée“, wo der Besitzer mich von der Straße ziehen wollte, und ich sah, dass sich 30 oder 40 Menschen in den Innenraum geflüchtet hatten. Aber ich wusste immer noch nicht, was passiert war oder gerade passierte und so lief ich weiter, bis zur Kreuzung der Grand’Rue, wo mich ein Polizist stoppte. „Gehen Sie weg, der Mörder ist hier im Viertel unterwegs!“ Zurück auf dem Kléber-Platz traf ich einige Kollegen, die mehr Informationen hatten. Ein mörderischer Terroranschlag. In der Stadt war kein Durchkommen mehr, weswegen ich nach Hause ging, meine Fotos anschaute und einen zweiten Schock erlebte, denn wider Erwarten waren viele Dinge auf diesen Gegenlichtbildern zu erkennen. Wie die meisten Straßburger machte ich in dieser Nacht kein Auge zu.
Zwei Tage lang dauerte die Jagd auf den Amokläufer, der von einem Soldaten angeschossen worden war, aber dennoch flüchten konnte. Die Menschen in der Stadt spürten, dass er noch da war. Eine zwei Tage lang andauernde, unwirkliche Atmosphäre der Angst. Bis die Polizei den jungen Mann im Neudorf aufspürte es zu einem Showdown kam, bei dem der Amokläufer auf die Polizisten schoss, wohl, damit sie ihn ihrerseits erschießen. Und das taten sie dann auch.
Danach kam das Schaulaufen der Politiker. Innenminister Castaner, Präsident Macron, alle kamen nach Straßburg. Waren wir zuvor „Charlie“, „Brüssel“ oder „Madrid“ gewesen, war nun die ganze Welt „Straßburg“. Dabei handelte es sich gar nicht um einen politisch oder religiös motivierten terroristischen Anschlag, sondern um einen Kleinkriminellen, der am Morgen von seiner bevorstehenden Verhaftung erfahren hatte. Dass er noch ein Video aufgenommen hatte, in dem er seine Zugehörigkeit zum „Islamischen Staat“ bekundete und dass er bei seinem Amoklauf „Allah Akbar“ gerufen hatte, das war eher, um seinen Amoklauf als einen Terroranschlag darzustellen. Aber das alles sind Überlegungen, die für die Opfer keine Rolle mehr spielen.
Straßburg hat sich seitdem verändert. Polizei- und Militär-Patrouillen gehören inzwischen fest zum Bild der Stadt, sie fallen den Straßburgern schon gar nicht mehr auf. Und selbst heute gibt es noch Reflexe aus diesen Tagen, beispielsweise wenn irgendwo ein Rucksack vergessen wird oder sich jemand seltsam benimmt (was in der momentanen pandemischen Krise permanent der Fall ist…). Der Amokläufer hat den Terror und die Angst in die Stadt getragen und auch, wenn Straßburg und ganz Frankreich richtigerweise und trotzig sagen, dass man sich das Leben nicht vom Terror diktieren lässt, so sitzt das Trauma dennoch sehr tief.
Um 16 Uhr gedenken die Bürgerinnen und Bürger Strassburgs der Opfer dieses Amoklaufs, beginnend um 16 Uhr in der Rue des Orfèvres, dann in der Rue des Grandes Arcades, der Rue du Saumon, der Rue du Savon und auf dem Pont Saint Martin.
Auch, wenn Sie heute nicht an diesem Gedenken teilnehmen können, denken Sie heute an diese 5 Menschenleben, die von einem wahnsinnigen Amokläufer sinnlos getötet wurden. Das Gedächtnis an diese Menschen aufrecht zu erhalten, gehört zu den wenigen Dingen, die wir diesen Phänomenen entgegen setzen können. Damit vielleicht eines Tages die Angst aus unseren Köpfen und Herzen verschwindet. Mögen die Opfer in Frieden ruhen.
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