Die nächste Eskalationsstufe

Täglich schrauben alle Beteiligten am Ukraine-Krieg weiter an der Eskalationsschraube. Doch scheint auch niemand ein anderes Ziel als den III. Weltkrieg zu haben.

Am Ende wird alles so aussehen wie hier in Mariupol... Foto: Mvs.gov.ua / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Der Ukraine-Krieg weitet sich in großer Geschwindigkeit aus. Russland stellt die Gaslieferungen an Polen und Bulgarien ein (andere Länder werden folgen), die Ukraine wird weiter brutal bombardiert, Öl-Reservoirs in West-Russland brennen, von wo aus die Versorgung der Roten Armee organisiert werden soll, Russland richtet seine Verbalattacken gegen Moldavien, die NATO und die ganze Welt, wobei Außenminister Lawrow immer häufiger das Szenario eines nuklearen Kriegs in den Raum stellt.

Der Weg in den III. Weltkrieg scheint vorgezeichnet, der Weg zurück in den Frieden völlig verbaut. Auch scheint das Ziel „Frieden“ kaum jemanden mehr zu interessieren, das Zeitalter des Heroismus ist angebrochen. Jetzt geht es nur noch um Waffenlieferungen und die Frage, wie westliche Staaten aktiv in diesen Krieg eingreifen können, ohne das so richtig offiziell zu tun. So werden fieberhaft Rechtsgutachten erstellt, mit denen nachgewiesen werden soll, dass die Tatsache, dass man komplexe Waffensysteme mit entsprechenden Ausbildern in die Ukraine schickt, keineswegs bedeutet, dass man damit selbst zur offiziellen Kriegspartei wird. Aber was bedeutet das schon, „offizielle Kriegspartei“. Kriege werden in der Neuzeit nicht mehr „erklärt“, sondern einfach geführt. Daher ist die Rechtslage fast nebensächlich, doch muss man damit rechnen, dass es dem Kreml herzlich egal ist, was die Rechtsgutachten des britischen Unterhauses oder des Bundestags zu dieser Frage meinen – Soldaten aus NATO-Ländern in der Ukraine betrachtet Putin als kriegerische Handlung der NATO und damit ist der große Krieg „Ost gegen West“ endgültig eröffnet.

Ein kleiner Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass es viele Parallelen zu den Situationen kurz vor den Weltkriegen 1914 und 1939 gibt. Die Propaganda läuft auf beiden Seiten auf Hochtouren, die Diplomatie bewegt sich auf einem heuchlerischen Alibi-Niveau, die verschiedenen Länder stellen gerade Inventarlisten verfügbarer Waffensysteme zusammen, die dann in die Ukraine gebracht werden und jeden Tag sterben und flüchten mehr Menschen.

Auf beiden Seiten trommeln die Kriegstreiber, der militärische „Erfolg“ wird als der einzig denkbare Ausweg aus dieser Situation betrachtet. Die Mahnung des französischen Psychologen und Autors Boris Cyrulnik, dass man Putin einen „goldenen Notausgang“ aus dieser Situation organisieren müsse, verhallt ungehört.

Aber wie könnte ein militärischer Erfolg gegen Putin aussehen, wenn man bedenkt, dass der russische Diktator über ein nukleares Arsenal verfügt, mit dem er die Welt vernichten kann? Die Chancen, dass der Mann, der das Rad der Geschichte zurückdrehen will und eine Art „UdSSR 2.0“ errichten will, aus ethischen Gründen darauf verzichtet, seine gefährlichsten Waffen einzusetzen, dafür aber eine Niederlage mit konventionellen Mitteln akzeptiert, liegen bei Null.

Gewiss, die Ukrainer verteidigen tapfer und mit dem Mut der Verzweiflung ihr Land, wobei die ukrainische Bevölkerung gerade auf bittere Weise erfährt, was „bis zum letzten Mann“ tatsächlich bedeutet. Die Rote Armee blamiert sich zwar gerade vor den Augen der Weltöffentlichkeit, da sie offenbar weder richtig für ihren Angriffskrieg vorbereitet war, noch kompetent gemanagt wird, noch über die technische Ausrüstung für diesen Krieg verfügt. Doch wird das Putin ebenso wenig zu einem Rückzieher veranlassen können wie die Sanktionen – inzwischen antizipiert Russland sogar den möglichen Energie-Boykott, indem es selbst den Gashahn zudreht.

Auf diplomatischer Ebene gegenüber dem Rest der Welt verfahren Russland und die Ukraine gleich – sie weigern sich, ernsthafte Gespräche mit der EU zu führen und sprechen nur bilateral mit den verschiedenen Staaten. Somit kann die EU einmal mehr nicht als Einheit auftreten und die einzelnen Länder überschlagen sich mit Waffen-, Geld- und Sachspenden.

Es sollte sich angesichts der Kriegstreiberei auf allen Seiten allerdings niemand künftig die Frage stellen, wie es zum III. Weltkrieg kommen konnte. Das ist nur deshalb möglich, weil alle Beteiligten engagiert für den Konflikt, aber nicht für den Frieden arbeiten. So wie 1914, so wie 1939. Und es gibt keinen Grund, warum sich die Situation 2022 anders entwickeln sollte als bei den ersten Weltkriegen. Offenbar sind 100 Millionen Opfer dieser Kriege noch nicht genug, dass der Mensch begreift, dass Kriege niemals eine Lösung darstellen.

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