Die neue Bürgerdemokratie

Frankreich steht gerade vor einer Art kleiner Revolution. Die zivilgesellschaftliche Vorwahl für die Präsidentschaftswahlen 2017, „LaPrimaire.org“, übertrifft alle Erwartungen.

Das sind die 5 Kandidaten und Kandidatinnen für die Stichwahl bei "LaPrimaire.org". Foto: LaPrimaire.org

(KL) – Am Wochenende war es dann soweit. Die zivilgesellschaftlichen Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl 2017, bei denen aus der Mitte der Zivilgesellschaft eine Kandidatin oder ein Kandidat gewählt wird, der dann gegen die Kandidaten der großen Parteien antritt. „Eine Schnapsidee“, mag jetzt manch einer denken. Doch weit gefehlt – die Plattform „LaPrimaire.org“ hat inzwischen mehr Mitglieder als die Regierungspartei PS – und zwar fast doppelt so viel. Am Sonntag durchbrach LaPrimaire.org die Schallmauer von 100.000 Mitgliedern. Die PS bringt es gerade mal auf 55.000 Mitglieder…

Die jämmerliche Vorstellung der Kandidaten bei der Vorwahl der Konservativen und das Hin und Her bei den Sozialisten haben der Plattform „LaPrimaire.org“ alleine im November 30.000 neue Mitglieder beschert. Und langsam spürt man, dass die Zeit reif für Neues ist, dass die alten Parteiensysteme ausgedient haben und dass die Menschen offen für ganz neue Wege in der Politik sind. Und – die Wählerinnen und Wähler haben keine Lust mehr, sich als Stimmvieh für die persönlichen Ambitionen der verschiedenen Kandidaten der großen Parteien missbrauchen zu lassen.

Glaubwürdig ist in der „großen“ Politik ohnehin kaum noch jemand. Alleine die Stichwahl der Konservativen war schon ein Spektakel. Zwei ehemalige Premierminister, François Fillon und Alain Juppé, die beide in ihrer Amtszeit nichts Bewegendes für ihr Land getan hatten, präsentierten sich als die neuen „Hoffnungsträger“ – und bei den Linken ist es noch schlimmer. Präsident Hollande musste wohl oder übel auf eine erneute Kandidatur verzichten und inzwischen laufen ihm die Minister weg, weil sie a) nicht mit der lausigen Bilanz ihrer Amtszeit in Verbindung gebracht werden wollen und b) selbst Kalif anstelle des Kalifen werden wollen. Kein Wunder, dass sich die Menschen nach Alternativen umschauen.

Wer es mit dem Denken nicht so genau nimmt, der rennt, ebenso wie bei uns in Deutschland, den rechtsextremen Populisten hinterher. Diese profitieren von der politischen Verzweiflung der Menschen und sammeln gerade alles ein, was sich nicht mehr in den traditionellen Parteien wiederfindet. Die anderen, die sich positiv mit der Politik auseinandersetzen, tragen Formate wie „LaPrimaire.org“ mit. Denn hier beschäftigt man sich sehr ernsthaft mit politischen Fragen, entwirft Modelle, neue Ansätze und das in einem hoch demokratischen Format. So könnte die kommende Revolution aussehen.

Bürgerinnen und Bürger, die sich mit frischen Ideen außerhalb der verkrusteten und korrupten Parteisysteme zusammenfinden und im Sinne der „Agora“ einen politischen Diskurs fernab der üblichen politischen Eitelkeiten führen – und dabei die Ideen entwickeln, die in der heutigen Politik fehlen.

100.000 Mitglieder bei „LaPrimaire.org“, bei einem lächerlichen Budget, aber mit extrem viel Herzblut; Kandidaten und Kandidatinnen, die genau die Qualitäten mitbringen, die den Apparatschiks der Parteien unbekannt sind – Mut, Querdenken, Expertentum. Nun beginnt die Stichwahl bei „LaPrimaire.org“ und wer immer sich am Ende durchsetzen wird – es wird sich um eine Kandidatin oder einen Kandidaten handeln, der oder die eine echte Alternative zu den „üblichen Verdächtigen“ darstellt. Vielleicht wird sich dieses Format noch nicht bei der Präsidentschaftswahl 2017 als erfolgreich erweisen, doch hier werden Wege beschritten, die aufzeigen, wie die Politik von morgen aussehen kann. Ob so etwas auch nach Deutschland hinüber schwappen wird?

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