Die „offene“ Grenze ist dicht…

Die „offenen“ Grenzen zwischen Frankreich und Deutschland sind praktisch dicht. Doch muss man sich die Frage stellen, ob diese Maßnahme momentan nicht doch richtig ist.

Der europäische Gedanke muss erhalten werden, aber erst müssen sich die Inzidenzen auf beiden Rheinufern angleichen. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Nun ist es also so weit – die europäischen Staaten machen nach und nach ihre Grenzen dicht. Natürlich, offiziell sind die Grenzen immer noch offen, doch in der Praxis eben nicht. Durchlässig ohne aktuellen negativen Covid-Test und eine „Bestätigung auf Ehrenwort“ eines wichtigen Grunds für einen Grenzübertritt, ist die Grenze jetzt nur noch für Berufspendler. Diese Regelungen gelten nun in beiden Richtungen, an den Grenzen wird kontrolliert und Besuche sowie die Ausreise im und ins Nachbarland sind nur noch in Ausnahmefällen möglich. Da mag man dann „Die Grenze ist offen“ darüber schreiben, doch ist sie es nicht. Aber in der aktuellen Lage muss man sich aber die Frage stellen, ob dies nicht eine Maßnahme ist, die tatsächlich die Zirkulation des Virus mit allen seinen Varianten eindämmen kann.

Diejenigen, die seit einem Jahr eine offene Grenze verlangen und für sie kämpfen, wie beispielsweise der „AK Schengen 2.0“, verteidigen die noble Idee Europas. Das freie, offene Europa, in dem sich 500 Millionen Europäerinnen und Europäer frei bewegen und begegnen können. Das ist in der Tat die Grundidee von „Schengen“, die es in einer Zeit, in der die Nationalismen wieder aufblühen, zu verteidigen gilt. Doch muss man festhalten, dass das grenzüberschreitende Leben in den letzten Monaten ohnehin zum Erliegen gekommen ist, beziehungsweise in die virtuelle Welt verlagert wurde und in dieser Situation muss man überlegen, wo Prioritäten gesetzt werden.

Fakt ist, dass dort, wo diese Grenze zwischen Frankreich und Deutschland besonders durchlässig ist, die Inzidenz-Zahlen auf der deutschen Seite besonders hoch sind – ein Zeichen, dass die Mobilität der Menschen das Virus immer weiter trägt. Der Blick entlang der deutsch-französischen Grenze stimmt nachdenklich. Schauen wir uns die Lage Landkreis für Landkreis an:

Die französische Region Grand Est weist nach den aktuellen Zahlen der Gesundheitsbehörde ARS eine Inzidenz-Zahl von 227,6 auf. Das Departement Bas-Rhin liegt bei 224,4 und das Departement Haut-Rhin bei 208,1. Auf der anderen Rheinseite sieht man deutliche Unterschiede zwischen denjenigen Landkreisen, in denen es relativ wenige Berufspendler gibt (Lörrach 79,1 – mittlere Anzahl Grenzgänger); Breisgau-Hochschwarzwald 69,0 – wenig Grenzgänger); Stadtkreis Freiburg 44,1 – wenig Grenzgänger; Emmendingen 28,2 – wenig Grenzgänger; Ortenau 128,8 – viele Grenzgänger; Rastatt 42,8 – mittlere Anzahl Grenzgänger; Stadtkreis Baden-Baden 29,0 – wenig Grenzgänger; Landkreis Karlsruhe 78,6 – mittlere Anzahl Grenzgänger; Stadtkreis Karlsruhe 60,9 – mittlere Anzahl Grenzgänger; Landkreis Germersheim 71,3 – mittlere Anzahl Grenzgänger; Landkreis Südliche Weinstrasse 121,2 – viele Grenzgänger; Südwestpfalz 59,1 – mittlere Anzahl Grenzgänger; Saarpfalzkreis 102,0 – mittlere Anzahl Grenzgänger; Regionalverband Saarbrücken 133,6 – viele Grenzgänger; Saarlouis 139,5 – viele Grenzgänger und Merzig-Wader 117,2 – hohe Anzahl Grenzgänger. Diese Zahlen zeigen deutlich auf, dass je höher der tägliche Verkehr zwischen den Grenzregionen ist, desto höher auch die Zirkulation des Virus bleibt. In einer solchen Situation kann es durchaus Sinn machen, temporär die Grenze zu schließen, so, wie man während des ersten „Lockdowns“ auch faktisch die Grenzen zwischen den französischen Departements und Regionen geschlossen hatte. Auch in diesem Fall hatten geographische Grenzen vorübergehend lediglich die Aufgabe, ein Territorium zu begrenzen, nicht aber, eine politische Grenze zu bilden. Vermutlich sollte man die aktuelle Situation an der deutsch-französischen Grenze momentan genau so betrachten.

Die Situation entlang der deutsch-französischen Grenze muss genau so bewertet werden wie zwischen französischen Departements und Regionen oder deutschen Bundesländern. Wenn die Inzidenz zu hoch steigt, müssen die umliegenden Kreise oder Departements geschützt werden, indem die Mobilität gesenkt wird, damit es zu weniger sozialen Kontakten kommt. Das wird seit Monaten innerhalb Deutschlands und Frankreichs praktiziert und da ist es dann auch kein Skandal, wenn man zeitweilig auch an der Grenze zwischen beiden Ländern so verfährt.

Allerdings wird der Wiederanlauf genau betrachtet werden müssen, denn die Gefahr ist gegeben, dass die neue nationale Abschottung wieder zum Standard wird. Doch sollte erst die sanitäre Lage im Grenzgebiet auf ein vergleichbares, niedriges Niveau gedrückt werden. Und das ist momentan nicht der Fall.

2 Kommentare zu Die „offene“ Grenze ist dicht…

  1. Solche Worte aus Ihrer Feder. Hätte ich nicht gedacht.

    Die hochfrequentierte Ortenau ist ein deutlicher Ausreisser.

    Die Konsequenz wäre dann wirklich, komplett dicht zu machen. Auch und gerade für Pendler.

    • Die Zahlen sprechen eine ziemlich eindeutige Sprache. Sich das schön zu reden, hilft momentan auch nicht weiter. Und ein sanitäres Risiko einzugehen, um die Symbolik einer offenen Grenze aufrecht zu erhalten, das ist dann eine Güterabwägung. Das kann man durchaus unterschiedlich betrachten. Gäbe es momentan so etwas wie ein “grenzüberschreitendes” Leben, das es zu schützen gelten könnte, würde man vielleicht anders diskutieren. Und das, was man in der Ortenau beobachtet, ist das gleiche wie im Grossraum Saarbrücken, wo die Berufspendler ebenfalls sehr zahlreich sind.

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