Die Ohrfeige
Noch Tage nach der Ohrfeige, die in einer südfranzösischen Kleinstadt im Gesicht von Präsident Macron landete, erhitzt der Zwischenfall die Gemüter. Dabei sind die Analysen vielfältig.

(KL) – Es war in der kleinen Stadt Tain-l’Hermitage an der Rhône, als Präsident Emmanuel Macron ein kleines Bad in der Menge nehmen wollte. Hinter der Absperrung stand ein junger Mann, der den Präsidenten erst fast freundschaftlich am Arm nahm, um ihm dann eine Ohrfeige zu versetzen. Seitdem wird dieser Zwischenfall intensiv diskutiert und die Analysen dazu gehen sehr weit auseinander. Selbst der Grundsatz „politische Unzufriedenheit darf sich nicht durch Gewalt äußern“ wird nicht von allen Kommentatoren unterschrieben.
In der Tat wirft dieser Zwischenfall eine Reihe von Fragen auf. Zunächst diese: Was wäre gewesen, wenn es sich nicht um einen spontan handelnden Mann gehandelt hätte, sondern um einen Terroristen, der beispielsweise ein Messer im Ärmel versteckt gehabt hätte? Die Sicherheitskräfte wären zu spät gekommen und da muss man sich schon die Frage stellen, wozu ein riesiger Sicherheits-Apparat dient, der Millionen kostet, aber bei der ersten Gelegenheit nutzlos bleibt?
Doch viel schwerweigender ist die Frage, wo die politische Debatte in Frankreich gelandet ist. Zwar haben praktisch alle politischen Strömungen sofort ihre Solidarität mit dem Präsidenten kundgetan, doch in diese Solidaritäts-Adressen mischten sich auch Stimmen, die sagten, dass nach all den Ohrfeigen, die der Präsident seit 2017 den Franzosen verteilt habe, diese Ohrfeige nicht zu entschuldigen, aber verständlich wäre. Alleine diese Stellungnahme sollte hellhörig machen – denn sie zeigt, auf welchem Niveau die politische Debatte in Frankreich angekommen ist. Wenige Tage vor dem ersten Wahlgang der wichtigen Regional- und Departementswahlen, die den Auftakt zum Superwahljahr 2022 darstellen, geht es kaum noch um Inhalte, sondern nur noch um Slogans und vor allem, um wahltaktisches Geplänkel. Gewalt inklusive, wie erst vor wenigen Tagen die „Mehlattacke“ gegen den Präsidenten der Region Grand Est, Jean Rottner.
Es gibt momentan unendliche viele politische Themen, die nach Lösungen und Perspektiven verlangen. Doch das Niveau der Debatte ist inzwischen auf der Ebene „Wählt mich, sonst bekommt ihr die anderen“ angelangt und das Ergebnis dürfte zu einer weiteren Steigerung der Nichtwähler führen. Konzepte, wie es in der abklingenden, aber nicht überwundenen Pandemie weitergeht, wie die seit 2018 explodierenden Sozialkonflikte zu lösen sind, was mit Renten, Sozialkassen und der unglückseligen Gebietsreform von 2016 passieren soll, hat niemand. Dass diese „Politikshow“ die Wählerinnen und Wähler kaum noch interessiert, wen wundert’s?
Was die letzten Präsidenten, von Chirac über Sarkozy und Hollande verpasst haben, nämlich das proportionale Wahlsystem einzuführen, das hat auch Emmanuel Macron tunlichst vermieden. Doch wäre das eine Möglichkeit gewesen, etwas mehr Demokratie in die Politik zu bringen und damit auch die Franzosen zu motivieren, wieder wählen zu gehen. Doch das politische System ist in Frankreich hermetisch abgeriegelt, kleinere oder neue Parteien haben in diesem angelsächsischen „First-past-the-post“-Wahlsystem keine Chance, sich in der politischen Landschaft zu etablieren und so bleiben eben nur diejenigen übrig, die immer schon da waren und sich selbst prächtig mit Posten und Pöstchen versorgen. Dass die politische Kaste in Frankreich den Kontakt zur eigenen Bevölkerung verloren hat, das drückt sich leider in solchen Gesten wie der Ohrfeige für Emmanuel Macron aus.
So sehr dieser Zwischenfall zu verurteilen ist, so muss man doch festhalten, dass die Gewalt, die sich in der französischen Gesellschaft, und damit auch in der Politik, etabliert hat, nicht von ungefähr kommt. Bedauerlich ist vor allem, dass diese ganzen Skandale, Zwischenfälle und Akte nur einer politischen Formation nutzen – den Rechtsextremen. Die müssen eigentlich nur eines tun, um die nächsten Wahlen zu gewinnen. Sich möglichst still verhalten und zuschauen, wie sich die anderen selbst zerfleischen. Der Auftakt zu den kommenden Wahlen ist katastrophal und es steht zu befürchten, dass sich das Niveau nicht wesentlich bessern wird.
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