Die (politische) Ursünde

Bei der Vertrauensfrage im französischen Parlament haben Links- und Rechtsextreme zum ersten Mal Hand in Hand abgestimmt. Zum Sturz der Regierung hat es trotzdem nicht gereicht.

In der Assemblée Nationale haben Links- und Rechts-Extreme ihre Gemeinsamkeiten entdeckt. Foto: Richard Ying ett Tangui Morlier / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Das, was die französische Politik in dieser Woche in Paris abgezogen hat, ist ein Trauerspiel. Premierinisterin Elisabeth Borne zog zweimal den berühmten Paragrafen 49.3, um den Haushalt 2023 ohne Abstimmung im Parlament zu verabschieden und als Reaktion stellte die linksextreme NUPES die Vertrauensfrage n der Nationalversammlung. Bei dieser Abstimmung ergab sich eine neue, ungute Konstellation: Die linksextreme NUPES und das rechtsextreme Rassemblement National (ex Front National) stimmten gemeinsam für den Sturz der Regierung. Diese konnte sich gerade noch halten, da rund 50 Abgeordnete der konservativen „Les Républicains“ für die Regierungspartei stimmten. Viel chaotischer geht es kaum noch, doch bemerkenswert ist vor allem, dass links- und rechtsextreme Parteien plötzlich Gemeinsamkeiten finden.

So weit ist es zum Glück in Deutschland noch nicht gekommen – die rechtsextreme AfD wird allgemein als „nicht hoffähig“ betrachtet und keine Partei aus dem demokratischen Spektrum käme auf die Idee, gemeinsam mit der AfD abzustimmen, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Damit hat die NUPES, ein ohnehin wackeliger Zusammenschluss mehrerer „linker“ Parteien und Gruppierungen, offenbar weniger Probleme. Doch das ist ein gefährliches Zeichen.

Das seltsame Abstimmungsverhalten aller Parteien (bis auf das der Regierungspartei) macht nachdenklich. Die Interessen der Franzosen werden auf dem Altar parteipolitischer Interessen geopfert und die Parteien machen sich dabei selbst unmöglich. Dabei ist die wichtigste Lektion dieser Parlamentswoche in Paris, dass alle Parteien vor allem eines haben – Angst vor der Wählerschaft. Hätten die Konservativen gegen die Regierung gestimmt, wäre es zu Neuwahlen gekommen, doch offenbar ist das ein Szenario, das alle Parteien vermeiden wollen. Vertrauen in die eigene politische Stärke sieht anders aus…

Dass Links- und Rechtsextreme gemeinsam abstimmen, ist ein Skandal. Doch dass die Konservativen eine Regierung im Sattel halten, die in der Bevölkerung gerade noch um die 20 % Zustimmung findet, ist ebenso skandalös. Einmal mehr haben die „Les Républicains“ eine Gelegenheit verpasst, ein eigenes politisches Profil zu übernehmen, statt nur der Mehrheitsbeschaffer für die Präsidentenpartei zu sein, die selbst über keine absolute Mehrheit verfügt.

Präsident Macron nahm es zufrieden zur Kenntnis und bot in einer TV-Ansprache den Konservativen unverhohlen thematische Kooperationen an. Doch die Konservativen spielen ein gefährliches Spiel – allgemein als Alternative zur Macron-Partei „Renaissance“ aka „La République en Marche“ empfunden, dürfte die Rolle des Mehrheitsbeschaffers eine schwere Hypothek für „Les Républicains“ werden, die den gleichen Weg gehen könnten wie das „MoDem“ – das irgendwann nur noch als „Wurmfortsatz“ der Regierungspartei empfunden wurde und dementsprechend schlecht bei den letzten Wahlen abschnitt.

Staatstragend handelt in Frankreichs Politik niemand mehr. Präsident Macron, klar auf dem absteigenden Ast, zieht ohne Rücksicht auf Verluste sein Programm durch, in dem als nächstes die höchst unbeliebte Rentenreform steht, die der Präsident bereit ist, ebenfalls am Parlament vorbei mit dem Paragrafen 49.3 zu entscheiden. Die extremistischen Parteien tun das, was sie immer tun – sie sprechen der Regierung die Regierungsfähigkeit ab und bieten selbst keine Alternativen an. Sozialisten und Konservative erleben gerade ihre Götterdämmerung, wobei sich die Konservativen noch retten könnten, würden sie nicht nur Emmanuel Macron zuarbeiten.

Doch was hat es zu bedeuten, wenn Links- und Rechtsextreme Hand in Hand abstimmen? Ist dies der Sargnagel der V. Französischen Republik? In diesen schwierigen Zeiten stellen die Franzosen das Gleiche fest wie viele Menschen in vielen europäischen Ländern: Wir haben uns zu lange nicht um die Politik gekümmert und diese absolut mittelmäßigen Verwaltern überlassen, die nicht über die erforderlichen Qualitäten verfügen, um die aktuellen Multikrisen in den Griff zu bekommen. Dass nun in Frankreich Links- und Rechtsextreme ihre Gemeinsamkeiten entdecken, ist nur ein weiterer Schritt in Richtung Abgrund. Weitere werden schon bald folgen.

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