Die Rettung der PS oder auf dem Weg zur Einheitspartei?

76 politische Persönlichkeiten haben in einem offenen Brief dazu aufgerufen, einen „unabhängigen linken Pol innerhalb der Regierungsmehrheit“ zu bilden.

Emmanuel Macron und Roland Ries scheinen sich verständigt zu haben - nur worauf? Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Der „offene Brief“ von 76 politischen Persönlichkeiten aus dem eher linnken Spektrum, darunter Außenminister Jean-Yves Le Drian, der von seinen früheren Parteifreunden der PS (unter François Hollande war Le Drian Verteidigungsminister) als „Verräter“ betrachtet wird, Olivier Dussopt, Staatssekretär im Haushaltsministerium, der sich getraut hatte, gegen den Haushaltsentwurf der Regierung zu stimmen oder auch der Straßburger OB Roland Ries, wirft jede Menge Fragen auf. Wollen sich die früheren Granden der PS nun unter die Fittiche von Emmanuel Macrons LREM begeben oder ist dies ein Versuch, eine Art Opposition innerhalb der Regierungspartei zu etablieren?

In dem offenen Brief ist die Rede davon, „einen von LREM unabhängigen linken Pol innerhalb der Präsidentenmehrheit zu schaffen“ – aber was genau ist damit gemeint? So etwas wie die Zentrumspartei „MoDem“, die als Partner von LREM fungiert und dafür sorgen will, dass ihre Positionen nicht in der harten, neoliberalen Politik von Macron untergehen? Es riecht nach einem seltsamen Manöver im Vorfeld der im März 2020 anstehenden OB-Wahlen in Frankreich – jetzt ist der Zeitpunkt, zu dem jeder versucht, noch ein trockenes Plätzchen am Ofen zu ergattern.

Der von den Unterzeichnern geäußerte Wunsch ist ein wenig utopisch: „[...] Wir sind überzeugt, dass die Präsidentenmehrheit erweitert werden und pluralistischer werden muss und dass man in ihr laut und deutlich eine soziale und republikanische Stimme hören muss.“ Auch, wenn man die Worte versteht, ist der Inhalt nur schwer zugänglich. Wollen diese 76 nun auch die PS verlassen und sich LREM in der Hoffnung anschließen, Macron würde ihnen ein Forum für „linke“ und „soziale“ Ideen einräumen? Oder wollen sie gleich aus der PS eine Art Untersektion von LREM machen? Nachdem sie, wie die 76 schreiben, „die Implosion der PS von innen erlebt haben“, klingt es in jedem Fall nach einem Abgesang auf die PS.

Dabei sehen die Umfragen sehen für LREM alles andere als rosig aus. Zwei Jahre autoritärer Führungsstil, schlechtes Krisen- und Personal-Management, Skandale über Skandale, der Anfangsbonus von Emmanuel Macron ist längst aufgezehrt. Dementsprechend macht man sich in der Pariser LREM-Zentrale große Sorgen um die im März anstehenden OB-Wahlen in Frankreich – so, wie es aussieht, könnte die Regierungspartei in den meisten französischen Großstädten abgestraft werden. Zu den wenigen Städten, in denen der LREM-Kandidat eine echte Chance hat, zählt Straßburg, wo letzte Woche Alain Fontanel für LREM seine Kandidatur erklärt hat.

Nun versucht es LREM mit allen verfügbaren Mitteln, von der Drohung, man würde Kandidaten, die nicht mit LREM eine gemeinsame Liste aufstellen, als „Feinde“ betrachten, bis zu Allianzen aller Art.

Doch das Vorgehen der 76 erinnert einerseits stark an die SED und deren „Blockparteien“, die sich auch brav an alle Vorgaben der großen Mutterpartei hielten und andererseits riecht das nach einem endgültigen Abgesang auf die traditionellen Volksparteien, denen in den letzten beiden Jahren das Volk abhanden gekommen ist.

Für die sozialistische PS ist diese Entwicklung Gift. Nachdem die Sozialisten bei der Europawahl den riesigen Fehler einer Allianz mit dem unerfahrenen und politisch blutleeren Pariser Think Tank „Place Public“ eingegangen waren, ist der Absturz der PS unter ihrem blutleeren und führungsschwachen Chef Olivier Faure kaum noch aufzuhalten. Aber sich deswegen gleich unter die Fittiche des politischen Gegners begeben, um dort noch ein wenig mitmischen zu dürfen?

Allerdings sind wir bereits im Bereich der Interpretation. Der „offene Brief“ sorgt für mehr Verwirrung als für Klarheit und es wäre gut, würden sich die 76 klar und deutlich positionieren. Denn dieser „offene Brief“ kommt zu einem Zeitpunkt, in dem verschiedene „linke“ Parteien und Gruppierungen versuchen, ihre alten ideologischen Grabenkämpfe auf Eis zu legen, um eine „linke“ Alternative zum Autoritarismus von Emmanuel Macron anzubieten. Doch schenkt man den 76 Glauben, dann gibt es in Frankreich nur noch einen, der die politische Landschaft retten kann – Emmanuel Macron. Seltsam ist es aber schon, das ausgerechnet von seinen politischen Gegnern zu lesen…

Bewegt sich Frankreich nun  in Richtung einer neoliberalen Einheitspartei? Einheitsbrei statt politischer Vielfalt? Die Wahlen finden zwar erst im März 2020 statt, aber das ewig alte Spiel von Kandidatenkür, Verrat der eigenen politischen Familie und der Gier nach einem guten Platz auf einer chancenreichen Liste – das ist keinesfalls die „neue Welt“, die Macron bei seinem Amtsantritt versprochen hatte, sondern die „alte Welt“ im Amateur-Modus. Doch das Erstaunlichste ist – es scheint zu funktionieren! Wie lange, das wird man dann allerdings erst noch sehen müssen…

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