Die Revolution ist aus dem Urlaub zurück

Die Gelbwesten sind, ebenso wie der Rest der Franzosen, aus dem Urlaub zurück. Offenbar haben sie den Sommer nicht genutzt, um endlich zu einem ernstzunehmenden Akteur des sozialen Wandels zu werden.

Diesen Slogan versteht man auch ohne Französischkentnisse... Foto: Tyseria / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Wer gehofft hatte, dass die französischen Gelbwesten den Sommer nutzen könnten, um sich eine Strategie einfallen zu lassen, mit der sie Akteur des sozialen Wandels in Frankreich werden könnten, der sieht sich enttäuscht. Der Akt 41 (oder 42? oder 40? zählt noch jemand mit?) zeigte, dass die Gelbwesten die wohl seltsamste Protestbewegung sind, die man je in Europa gesehen hat. Das einzige, woran die Gelbwesten offenbar nicht gewillt sind teilzunehmen, sind Veränderungen an der aktuellen Entwicklung in Frankreich, die in der Tat Besorgnis erregend ist.

2000 oder 3000 Demonstranten in Montpellier, ein paar Hundert in Rouen, Paris, Straßburg und anderen Städten, und offensichtlich haben die Revolutionäre in Gelb den Sommer ebenso am Strand oder in den Bergen verbummelt wie der Rest der Bevölkerung. Es gibt nach wie vor keinerlei erkennbare Strategie außer der, samstags durch die Innenstädte zu ziehen, den Rücktritt von Präsident Macron zu fordern, nach dem RIC („Référendum d’Initiative Citoyenne“) zu rufen und, je nach Kräfteverhältnissen, ihr Mütchen an Gegenständen oder Polizisten zu kühlen. Nach wie vor haben die Gelbwesten keinerlei kohärente Haltung zu den „Black Blocks“, die am Samstag recht zahlreich in Montpellier auftauchten, ein Polizeiauto anzündeten und für Ärger sorgten – wie schon vor dem Sommer war die einzige Stellungnahme der Gelbwesten „die kennen wir nicht, da haben wir nichts mit zu tun“ – dabei hatten vor Wochen die Demonstranten gegen den G7-Gipfel gezeigt, wie einfach es ist, die „Black Blocks“ mit einem eigenen Ordnungsdienst von der eigenen Demonstration fernzuhalten. Wenn man das möchte.

Bei der Demonstration in Paris kam es zu 89 Verhaftungen, anderswo lief die Demonstration friedlich ab, wie in Straßburg. Man kann kaum mehr von einer „Bewegung“ sprechen, denn in jeder Stadt, in jedem Departement haben die Gelbwesten andere Aktionsformen, andere Forderungen und  der einzige rote Faden ist, dass sie sich nach wie vor weigern, sich zu organisieren. Doch nach 10 Monaten der samstäglichen Demonstrationen schmilzt die anfangs starke Solidarität der Franzosen mit den Gelbwesten wie Schnee in der Sonne.

Dieser seltsamen „Sozialrevolte“ fehlt es an klar formulierten Zielen, an einer realistischen Einschätzung und, sorry, an Intelligenz. In den letzten 10 Monaten wurde jeder, der erkannte, dass die Gelbwesten zu einem echten Akteur eines sozialen Wandels hätten werden können, von den Platzhirschen in Gelb weggebissen, doch genau diesen Platzhirschen fehlt es an der Intelligenz, mit dieser „Bewegung“ echte Fortschritte zu erreichen. Dass die Regierung angesichts der inhaltlichen Leere der Gelbwesten das Ganze nur noch aussitzt, mit inzwischen leicht umzusetzenden repressiven Maßnahmen reagiert, das verdanken die Gelbwesten ihren „Führern“, den Drouets, Nicolles und wie sie alle heißen. Doch diese „Führer“ haben ebenso wenig verstanden, dass sie im Frühjahr so viel Druck auf die Regierung hätten ausüben können, dass es tatsächlich zu Änderungen hätte kommen können, wie sie auch nicht gemerkt haben, wie ihre Unterstützung in der Bevölkerung abbröckelt. Vor der Europawahl tönten sie noch, dass sie 70 % Unterstützung bei den Franzosen hätten – am Ende holten die zwei Gelbwesten-Listen zusammen weniger als 1 % der Stimmen. Doch auch das bekamen ihre selbsternannten „Führer“ nicht mit.

Wenn man einmal vergleicht, wie 1989 in der DDR und in Polen, ja im ganzen Ostblock, von Russland getragene Militärregimes von Volksbewegungen gestürzt wurden, die gemeinsam eine neue Vision für ihre Länder entwickelten und hierfür Hunderttausende begeistern konnten, dann erkennt man die ganze Misere der Gelbwesten, die seit 10 Monaten samstags durch die Innenstädte marschieren, gewalttätige „Black Blocks“ in ihren Reihen dulden und damit kokettieren, sich nicht organisieren zu wollen, keinen konstruktiven Beitrag zu den zahlreichen Debatten im Land zu leisten und einfach nur „die Schnauze voll haben“. Nur – mit solchen Revolutionären kann man keine Revolution machen. Hätten Solidarnosc und die Montagsdemonstrationen in der DDR nur Lärm gemacht, auf Verkehrskreiseln Würstchen gegrillt und den Verkehr behindert, stünden heute noch russische Panzer in diesen Ländern.

Offenbar haben die Gelbwesten mehr Angst davor, eine „normale Protestbewegung“ zu werden als vor der aktuellen Entwicklung in Frankreich, die in der Tat in vielen Bereichen zu Sorge Anlass gibt. Doch diese Besoffenheit von sich selbst, diese Weigerung, als ernstzunehmender Akteur an einem Wandel mitzuwirken, die immer aggressiver werdende Ansprache an all diejenigen, die keine Lust haben, sich an den samstäglichen Spaziergängen zu beteiligen, all das deutet darauf hin, dass die Gelbwesten eben nicht das Zeug dazu haben, Revolutionäre zu sein.

Die vollmundigen Ankündigungen sind die gleichen wie vor dem Sommer, als man von massiven Mobilisierungen, von Generalstreiks und europaweiten Aktionstagen phantasierte. Die Revolution der Gelbwesten, der erträumte landesweite Aufstand, findet aber immer am nächsten Samstag statt. Doch angesichts der paar Hundert gelben Demonstranten wird diese Kommunikation langsam lächerlich.

Im Sommer wären die Gelbwesten besser beraten gewesen, sich neu aufzustellen und sich neue Strategien zu überlegen, statt am Strand zu liegen und die Sonne zu genießen. Das war die vielleicht letzte Chance, dieser „Bewegung“ eine Richtung zu geben, sie so zu organisieren, dass die Franzosen wieder Lust bekommen hätten, erkennbare und verständlich vorgetragene Forderungen zu unterstützen. Doch anders als in der DDR und in Polen, wo das Volk friedlich und intelligent gegen hoch gerüstete Militärregimes den Wandel durchsetzte, fehlt es den Gelbwesten an allem. Ob sie mit dem, was als Forderungen erkennbar ist, Recht haben oder nicht, spielt keine Rolle mehr. Die Gelbwesten schaffen sich gerade selber ab und stellen, anders als zu Beginn dieses Phänomens, keinerlei Gefahr mehr für die Regierung dar. Soviel zum Thema Schwarm-Intelligenz.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste