Die schwierige Rückkehr zur Normalität

Nach dem Anschlag in Straßburg herrscht eine seltsame Stimmung in der Stadt. Alle wünschen sich eine schnelle Rückkehr zur Normalität, doch die ist weit entfernt.

Der Weg zurück in die Normalität wird lang werden - und Strasbourg wird ihn trotzdem bewältigen. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Es ist unglaublich – der Kriminelle, der am Dienstagabend Straßburg, Frankreich und ganz Europa mit seinem Anschlag schockierte, ist immer noch auf der Flucht. Niemand weiß, wo er ist. Trotz aller modernen Überwachungstechnologien, Polizei- und Militärpräsenz, Aufrufen an die Bevölkerung ist der Täter entwischt. Der in Straßburg geborene Täter kennt die Stadt wie seine Hosentasche, hat Freunde und Bekannte und er konnte einfach untertauchen. Unfassbar. Und gleichzeitig mühen sich die Straßburger, den nächsten Tag mit breiter Brust und der Überzeugung „wir lassen uns von denen nicht unterkriegen!“ anzugehen. Doch das ist schwerer als man denkt.

Morgen wird der Weihnachtsmarkt wieder eröffnen, ein wenig wie 1972, als Avery Brundage, der IOC-Präsident, der Welt zurief „The games must go on!“. Der Weihnachtsmarkt muss weitergehen, da alles andere das Eingeständnis der Niederlage gegenüber dem nicht greifbaren Konzept des Terrors wäre. Dabei weiß man nicht einmal, ob der schwerkriminelle Täter überhaupt einen terroristischen Hintergrund hatte. Ja, man weiß, dass sich der Täter, der fast so viele Verurteilungen wie Lebensjahre aufweist (27 Verurteilungen in 29 Lebensjahren), im Gefängnis radikalisiert hat. Mehr weiß man allerdings nicht. Am Morgen der Tat sollte er verhaftet werden und er war sich im Klaren, dass sich das Netz um ihn herum zuzog. Ist der dann durchgedreht und Amok gelaufen? Bis Mittwochabend hat der „Islamische Staat“, der sich ansonsten keine Gelegenheit entgehen lässt, den Anschlag nicht für sich reklamiert. War es wirklich das, was wir unter „Terrorismus“ verstehen?

Es wird lange dauern, bis alle Untersuchungen abgeschlossen sind. In der Zwischenzeit entdecken die Straßburger, wer die Toten und Verletzten sind und das Geschehen rückt noch näher an einen heran, wenn nicht nur der Schauplatz Orte sind, an denen man täglich unterwegs ist, sondern wenn die Opfer Bekannte von Bekannten sind. Die Betroffenheit ist viel direkter als wenn man Bilder von Anschlägen in anderen Städten sieht. Und umso schwerer wird es, zur „Normalität“ zurückzukehren, denn nichts ist mehr normal.

Dabei ist Frankreich auch schon vor dem Anschlag in Unruhe gewesen. Die „Gelbwesten“-Bewegung hat mit ihren berechtigten sozialen Forderungen und ihren unberechtigten Gewaltexzessen das Land gespalten. Mitten in diese explosive Stimmung hinein kam der Straßburger Anschlag und seit gestern liest man viele Mitteilungen von „Gelbwesten“, die sich zu der Verschwörungstheorie versteigen, dass der Anschlag von der Regierung orchestriert worden sei. In dieser Gemengelage ist die Rückkehr zu „Normalität“ mehr als schwierig.

Doch Frankreich wäre nicht Frankreich, wenn dieser Anschlag nicht verarbeitet werden könnte. Mehr als jedes andere europäische Land hat Frankreich unter Anschlägen, Attentaten und Gewalt zu leiden gehabt und hat sich nie unterkriegen lassen. Das wird auch jetzt wieder passieren.

Der Straßburger Anschlag wird die Menschen in der Stadt, im Elsass, in Frankreich und auch in Europa zusammenschweißen und eben nicht auseinander dividieren. Dabei ist die größte Bedrohung für den inneren Frieden nicht ein Anschlag, sondern die Gewalttätigkeit, die gewissenlose Brunnenvergifter mit ihrem hasserfüllten Diskurs in die Gesellschaft tragen. Wie zufällig sind es genau diese Brunnenvergifter, die sich nicht zu schade sind, von menschlichen Tragödien wie diesem Anschlag profitieren zu wollen. Diejenigen, die sich nun als „Lösung“ für die aktuellen gesellschaftlichen Probleme präsentieren wollen, ob sie nun Marine Le Pen, Jean-Luc  Melenchon oder Laurent Wauquiez heißen, sind in Wirklichkeit das Problem – sie installieren Hass und Gewalt in der Gesellschaft und ihr Angebot, genau diesen Hass und diese Gewalt zu lösen, sind zynisch.

Jetzt ist die Zeit für Trauer und Solidarität, während die Verletzten des Anschlags in den Krankenhäusern um ihr Leben kämpfen. Ab morgen ist es ein Akt des bürgerlichen Widerstands, auf dem Weihnachtsmarkt einen Glühwein trinken zu gehen. Nicht wegen der weihnachtlichen Stimmung, die wird dieses Jahr in Straßburg nicht mehr aufkommen. Nein, der Besuch des Weihnachtsmarkts ist ein Akt der Solidarität, ein Zeichen an die Feinde dieses Landes, dass man sich eben nicht unterkriegen lässt, dass man die Herausforderung annimmt, in einer Welt des Hasses und der Gewalt all das nicht mehr hinzunehmen. Ihr könnt uns vieles nehmen, aber nicht unser Leben bestimmen.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste