Die sind wirklich weg!

Schon beim Aufstehen merkte ich, dass etwas nicht so war wie sonst. Was zunächst noch eine dumpfe Vorahnung war, sollte sich bestätigen: Die Briten sind weg!

Im britischen Viertel von Wanne-Eickel wächst heute schon Unkraut, dort, wo man gestern noch lebhaftes britisches Stimmengewirr hörte. Foto: Ragnar1904 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Es war seltsam still, als ich in der Morgendämmerung das Haus verließ. Beunruhigend still. Kein geschmettertes „Good morning, Sir!“, das ansonsten von allen Seiten erklang, sobald man auch nur einen Fuß vor die Tür setzte. Nichts. Es war, als hätte die Goldammer mit dem Singen aufgehört. Die Briten waren verschwunden.

Am Kiosk an der Bushaltestelle gähnte die Leere. Keine ordentlich arrangierte Wartereihe, kein Bowler-Hut weit und breit, keine sorgsam gerollten Regenschirme in Schwarz und die Frau am Zeitungsstand zuckte nur bedauernd mit den Achseln, als ich nach der „Daily Bild“ fragte. „Einen Tea to go?“, versuchte ich es vorsichtig. „Gibt’s nicht mehr!“, blaffte sie zurück, „Die Briten sind weg!“

Der Bus war ziemlich leer und niemand wies die schlecht erzogenen Halbstarken zurecht, die ihre Füße aus den gegenüberliegenden Sitz legten und sich dabei cool vorkamen. „You wouldn’t do this at home, would you?“, hätte normalerweise ein Brite gesagt, in diesem übertrieben höflichen Ton, der so entwaffnend war, dass die Halbstarken brav ihre Füße vom Sitz nahmen. Und nun sind sie weg, die Briten.

Auf dem Weg von der Haltestelle zum Büro fiel das Fehlen des morgendlichen britischen Grußrituals auf – „a wonderful day, isn’t it?“, egal, ob es stürmte oder schneite. Und was hörte man heute morgen? „So ein Dreckswetter, verdammt!“. Das ändert alles. Wie viel positiver beginnt doch ein verregneter Tag auf dem Weg zum Büro, schon halb durchnässt, wenn einem ein schnurrbärtiger Gentleman näselnd mitteilt, dass dies ein wunderbarer Tag ist! Ab sofort wird also morgens gegrantelt. Klar, die Briten sind weg.

Mittags gab es in der Kantine Wiener Schnitzel mit Pommes und Salat und vegane Hamburger statt Yorkshire Pudding und Wildschwein mit Minz-Sosse, und auch die Scones waren nicht mehr auf der Karte. Das hätten sie aber doch wenigstens lassen können, das hätten doch auch wir Nicht-Briten gerne gegessen! Aber so…

Nach der Arbeit, bei einem kurzen Bier mit den Kollegen, blieb die Dartscheibe frei und selbst zu etwas vorgerückter Stunde gab es keine Schlägereien. Die Leute tranken ihr Bier und gingen nach Hause, ohne sich sportlich bestätigt zu haben. Auf dem Heimweg traf ich keinen einzigen Hooligan, der versucht hätte, mit meine a) Zigaretten abzunehmen, b) mein Handy zu stehlen, c) mir die Fresse zu polieren oder d) alles zusammen – was den Heimweg fast langweilig gestaltete. Zu Hause angekommen, war ich sicher. Es stimmt, was sie im Fernsehen gesagt haben. Die Briten sind weg. Wie sollen wir nur ohne sie klarkommen?

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