Die sozialen Unruhen gehen unvermindert weiter

Auch gestern gab es wieder in ganz Frankreich große Demonstrationen, so auch in Straßburg, wo die Mobilisation nicht geringer wird.

Auch gestern gingen in Strassburg wieder rund 10.000 Demonstranten auf die Strasse. Streiks und Proteste könnten noch sehr lange andauern. Foto: Jean-Marc Claus / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Wenn es so weiter geht, werden sich in Frankreich schon bald die sozialen Unruhen in eine ausgewachsene Sozialrevolte verwandeln. Auch, wenn sich die Behörden viel Mühe geben, die Teilnehmerzahlen an diesen Demonstrationen kleinzureden, um das Bild zu vermitteln, dass die Unterstützung dieser Sozialproteste abnimmt, so kann nichts mehr darüber hinwegtäuschen, dass dem nicht der Fall ist. Im Gegenteil, die Unterstützung für die Streikenden liegt inzwischen laut Umfragen über 60 %, auch, wenn sich 69 % der Franzosen wünschen, dass die Streiks wenigstens über die Feiertage ausgesetzt werden. Der öffentliche Dienst hat die Nase voll und es geht schon lange nicht mehr nur um die geplante Rentenreform.

Inzwischen sind alle Gewerkschaften bei den Organisatoren dabei, selbst die CFDT, die bei den ersten Demonstrationen noch staatstragend abwesend war. Dazu sind alle Parteien engagiert, die sich „links“ von der Regierungspartei LREM befinden. Dass es sich hier in erster Linie um Proteste des Öffentlichen Dienstes handelt, scheint man in Paris noch nicht so richtig ernstzunehmen – was vermutlich dazu führen wird, dass sich diese Proteste im Laufe der Zeit weiter radikalisieren werden, spätestens, wenn sich auch die Arbeiter aus dem nicht-öffentlichen Bereich in die Proteste einklinken, was nicht mehr lange dauern dürfte, bis es soweit ist.

Die geplante Rentenreform, die immer noch niemand so richtig versteht, außer, dass sich das Renteneintrittsalter für die meisten von 62 auf 64 Jahre erhöhen wird und das Rentenniveau insgesamt sinken wird, ist nur noch eines der vielen Themen, gegen das die Franzosen auf die Straße gehen. Die Proteste richten sich insgesamt gegen ein veraltetes, verkrustetes und in Teilen korruptes System, in dem das Konzept „Macht“ immer noch auf eine royalistisch anmutende Art und Weise ausgeübt wird und das einfach nicht mehr in die Welt von heute passt. Was immer an Reformen in die Wege geleitet wird, ist nicht zu Ende gedacht worden, wird von zweifelhaften Politikern präsentiert und geht an den Realitäten der Menschen vorbei.

Daher sind auch die Debatten um einzelne Themen fast vergebliche Liebesmüh, die kaum noch die Lage entspannen und beruhigen können. Denn die Proteste richten sich gegen das gesamte System – und die Demonstranten wollen nicht mehr an einzelnen Symptomen herumdoktern, sondern stellen eben dieses gesamte System und dessen Protagonisten in Frage.

Antworten gibt es seitens der Regierung kaum. Es nützt auch nicht viel, wenn Wirtschaftsminister Bruno Le Maire pathetisch im Fernsehen die Streikenden der Staatsbahn SNCF beschwört, doch wenigstens zu Weihnachten zu arbeiten und dabei Satzblüten wie „Die Züge sind Frankreich!“ zum Besten gibt.

Trotzig bekräftigte Premierminister Edouard Philippe, dass die Rentenreform auf jeden Fall durchgezogen wird und verhärtet damit die Fronten in einer Art, dass praktisch niemand mehr einen Schritt zurück machen kann, ohne das Gesicht zu verlieren.

Frankreich hat sich nun, nach einem Jahr der gewaltsamen Proteste der „Gelbwesten“ in die nächste Krise manövriert und es ist nicht abzusehen, wann und wie diese Krise enden soll. Und diese Krise ist eigentlich unlösbar, denn es geht nicht in erster Linie um diese Rentenreform, sondern die Revolte steht unter dem Motto „Wir, das Volk, gegen euch, die Regierung“. Eine Lösung ist folglich erst bei den nächsten Wahlen in Sicht. Bis dahin muss sich das Land auf eine Art Dauerprotest einrichten. Und das wird alles andere als heiter werden.

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