Die spinnen, die Amerikaner…

Der Freispruch für den jugendlichen Killer Kyle Rittenhouse, der inzwischen zum „Helden“ des rechtsextremen Amerikas geworden ist, zeigt, dass die USA den „moralischen Kompass“ verloren haben.

Ein ordentlicher junger Mann oder ein rassistischer Mörder? Foto: Tony / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Es gab eine Zeit, als die USA der Richtungsweiser der westlichen Welt waren. Doch diese Zeiten sind vorbei. Nicht nur, dass die USA einen Whistleblower wie Julian Assange zu Tode hetzen wollen, auch die amerikanische Justiz strengt sich mächtig an, die nächsten Unruhen zu organisieren. Dass der zur Tatzeit erst 17jährige Kyle Rittenhouse für das Töten zweier Menschen freigesprochen wurde, löst in den USA bereits heftige und kontroverse Reaktionen aus.

Am 25. August 2020 war Rittenhouse in Kenosha im Bundesstaat Wisconsin zu einer Anti-Rassismus-Demonstration gefahren und hatte sein Sturmgewehr dabei. Er hatte es nicht nur dabei, sondern trug es offen mit sich, als er dann Richtung Demonstration lief. Ultrarechte Kreise verbreiteten, der junge Mann habe „Geschäfte vor Plünderungen schützen“ und „als Sanitäter helfen“ wollen. Klar, Sanitäter tragen statt Verbandskasten häufig geladene Sturmgewehre mit sich. So sprach das Gericht in Kenosha den verhinderten Sanitäter, der nach Schlägerein  mit Demonstranten, bei denen er Schläge mit einem Skateboard abbekam, zwei von ihnen erschoss und einen weiteren schwer verletzte, nicht nur von den Vorwürfen des Mordes, des versuchten Mordes und des Totschlags frei, sondern auch von dem der „Gefährdung anderer“.

Ja, nee, is klar. Ein haßerfüllter 17jähriger Rassist, der mit dem Auto in die Stadt fährt, um dort ungefragt „Hilfspolizist“ zu spielen und dabei mit einer scharf geladenen, tödlichen Schußwaffe in eine Anti-Rassismus-Demonstration läuft, das ist in den USA normal. Ein ordentlicher, weißer, gescheitelter 17jähriger, der als Killer unterwegs ist, stellt keine „Gefährdung anderer“ dar. Auch, wenn er dabei ein Blutbad anrichtet. Freispruch wegen „Notwehr“.

Donald Trump ließ seine Glückwünsche zu dem Freispruch übermitteln, nachdem er sich bereits vor Prozeßbeginn solidarisch mit Rittenhouse gezeigt hatte. Joe Biden rief die Bevölkerung auf, das Urteil der Geschworenen zu akzeptieren, auch wenn man, wie er, damit nicht einverstanden sei. Mehrere bekannte Sportler der Anti-Rassismus-Bewegung stellten dagegen die rhetorische Frage, ob der Täter, wäre er denn schwarz gewesen, nicht ohne große Aufmerksamkeit zu einer lebenslänglichen Strafe verurteilt worden wäre.

Das völlig unverständliche Urteil von Kenosha hat, anders, als sich das Joe Biden gewünscht hatte, sofort Proteste in den Metropolen der Ostküste wie New York oder Chicago ausgelöst, an der Westküste gab es gewaltsame Konfrontationen zwischen Demonstranten und der Polizei.

Die Zeiten, in denen die USA die Führungsnation der westlichen Welt waren, sind vorbei. Die Rassismus-Debatte ist heute in den USA so aktuell wie seit der Befreiung der Sklaven. Wenn ein 17jähriger ungestraft Demonstranten erschießen darf, weil diese an einer Anti-Rassismus-Demonstration teilgenommen hatten, bei der sie mit diesem 17jährigen gekämpft hatten, als dieser sie mit einer tödlichen Waffe bedrohte, wenn das in einem Land vom letzten amtierenden Präsidenten beklatscht wird, dann sollte man dieses Land nicht mehr als Führungsnation anerkennen.

Es wäre an der Zeit, dass Europa aufhört, sich wie ein Krämerladen für nationale Einkaufslisten zu verhalten, sondern seinen eigenen politischen, gesellschaftlichen und sozialen Kompass ausrichtet – warum sollten 500 Millionen Europäerinnen und Europäer weniger Qualitäten haben als ein Land, in dem Gerichte solche Urteile fällen?

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