Die spinnen, die Briten…

Obelix hatte völlig Recht – die Briten spinnen. Die aktuell von verschiedenen Ministerien entworfenen Brexit-Szenarien haben alle eines gemeinsam: Sie sind katastrophal.

Immer mehr Briten erkennen, was für ein Wahnsinn der Brexit ist. Doch leider werden sie nicht gehört. Foto: ilovetheu / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Ach ja, da war ja noch der Brexit. Diese völlig irrationale Entscheidung der Briten, getroffen auf der Grundlage von Fehlinformationen, die Europäische Union im März 2019 zu verlassen, dürfte für das Vereinigte Königreich zu einem historischen Desaster führen. Doch erstaunlicherweise halten die beiden großen Parteien, die konservativen Tories und die linke Labour Party, beide an diesem Ausstiegsszenario fest. Obwohl sich die Stimmen mehren, die ein zweites Referendum zur Frage des Brexits fordern, dieses Mal unter der Berücksichtigung von Fakten und nicht von Fake News à la UKIP, scheint es dazu nicht mehr zu kommen. Wie die Lemminge stürmen die britischen Brexit-Befürworter auf die Steilküste von Dover zu und werden bei ihrem Absturz gleich das ganze britische Volk mitreißen. Was weder Wikinger, Normannen oder Nazis geschafft haben, David Cameron und Theresa May werden es hinbekommen – das Auseinanderfallen des Vereinigten Königreichs.

Angesichts der Tatsache, dass es nach wie vor keinerlei Einigung zwischen der EU und Großbritannien über die Modalitäten des Ausstiegs gibt, entwickeln nun mehrere Ministerien und Think Tanks entsprechende Szenarien, wobei man diese Szenarien ernst nehmen sollte, stammen sie doch aus der Feder von Brexit-Befürwortern in den Ministerien.

So schätzen Experten des Wirtschaftsministeriums, dass der „harte Brexit“ (also ein Brexit ohne entsprechende Anschlussabkommen) die britische Wirtschaft rund 20 Milliarden Pfund pro Jahr kosten, die Wirtschaftsleistung um bis zu 8 % senken, die Arbeitslosigkeit hochtreiben und eine massive Konjunkturbremse darstellen, die in einer isolierten Position kaum aufzufangen wäre. Dazu kommen innenpolitische Probleme, wie eine EU-Außengrenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland, inklusive des Risikos des Aufflackerns des gerade erst überwundenen Konflikts um die Nordirland-Frage. Ebenso ist unklar, wie sich Schottland verhalten wird – hier ist damit zu rechnen, dass es zu einem „Scotxit“ aus dem Vereinigten Königreich und der Bitte um die schottische Aufnahme in die EU kommen wird. Was dann der Anfang vom Ende Großbritanniens wäre. Am Ende dieses völlig irrationalen Brexits wird es kein Vereinigtes Königreich mehr geben – dieses Königreich dürfte auf England und Wales zusammenschrumpfen.

Dazu zeigen die verschiedenen Szenarien auch echte Probleme für die Bevölkerung auf. So könnten bereits wenige Tage nach dem Brexit in entlegenen Landesteilen Nahrungsmittel und Medikamente knapp werden, Infrastrukturen wie die großen Häfen könnten stillstehen, da sie nicht in der Lage sein werden, die dann wieder erforderlichen Zollformalitäten zu managen, für die Briten geht es buchstäblich ans Eingemachte. Das alles, um nicht mehr dem Europäischen Gerichtshof und den europäischen Regelwerken zu entsprechen – der Brexit ist der Kotau der britischen Regierung vor den identitären Populisten im Land. Aber kann man Extremisten bekämpfen, indem man sich noch extremistischer verhält als sie selbst?

Noch ist theoretisch Zeit, diesen Wahnsinn zu stoppen. Es ist völlig unverständlich, wie die EU es schafft, munter über den Austritt zu verhandeln, ohne dass die europäischen Institutionen alles ins Rennen werfen, um diesen Brexit noch zu verhindern. Ebenso wenig, wie die EU es schafft, im Osten der EU von Ungarn bis Polen, über die Slowakei, Slowenien, Tschechien oder Österreich so etwas wie eine positive Grundstimmung zu erzeugen, schafft es die EU nun, so auf die Briten einzuwirken, dass der Zerfall der EU gestoppt werden kann.

Der größte Feind der EU sind inzwischen die Technokraten, die sich angewöhnt haben, Krisen lediglich zu verwalten, statt gegen diese anzugehen. Die immer wieder angesprochenen „europäischen Werte“ wurden im Krieg gegen die Flüchtlinge im Mittelmeer und die Zusammenarbeit mit dem türkischen Sultan geopfert, Europa wird immer mehr von Lobbys und hinter verschlossenen Türen regiert und die Kluft zwischen den Verantwortlichen und den 500 Millionen Europäerinnen und Europäern könnte grösser kaum sein. Bekommt eigentlich irgendjemand in Brüssel und Straßburg mit, dass dieses kollektive Versagen dazu führen kann, dass das größte Friedensprojekt der europäischen Geschichte auf dem Altar persönlicher Eitelkeiten und für Big Business geopfert wird?

Wir Bürgerinnen und Bürger haben jetzt noch genau eine Chance – die Europawahl 2019. Entweder tauschen wir die komplette Führungsmannschaft aus und drücken die RESET-Taste für Europa, oder aber wir finden uns damit ab, dass bereits in ein oder zwei Generationen die europäische Geschichte dort weitergeht, wo sie 1945 aufhörte: in Mord und Blutbädern. Vielleicht sollten wir alle 2019 den Mut aufbringen und für diejenigen stimmen, die uns glaubhaft versichern können, dass sie Europa neu aufstellen wollen. Sollte das scheitern, könnte auch Europa scheitern.

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