Die Sprache der Weimarer Republik

Die Fronten in Frankreich haben sich verhärtet – und der Dialog zwischen den „Gelbwesten“ und dem französischen Volk findet nicht statt. Stattdessen gibt’s Slogans satt.

Wenn die politische Debatte dieses Niveau erreicht, steht die Katastrophe vor der Tür... Foto: Percy31 / Wkimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Das Niveau der Debatten rund um die „Gelbwesten“ und ihre Gegenbewegung, die „roten Halstücher“ ist in den Keller gerutscht. Argumente oder Ideen werden kaum noch ausgetauscht, stattdessen schlagen sich beide Seiten mehr oder weniger blödsinnige Slogans und Beleidigungen um die Ohren. Dabei geht es schon gar nicht mehr darum, Andersdenkende mit Argumenten zu überzeugen, sondern intern mit denjenigen zu kommunizieren, die ohnehin genau so denken wie man selbst. Und diese Art der politischen Auseinandersetzung erinnert stark an die Weimarer Republik – und das verspricht wenig Erfreuliches.

Was soll man von geifernden „Gelbwesten“ halten, die vor laufenden Kameras erklären, was sie wollen: „Brigitte Macron nackt auf einem [brennenden] Haufen Paletten sehen“? Aussagen wie diese benötigen ebenso wenig Antworten, wie die entsprechenden Reaktionen auf diesen Blödsinn: „Statt auf den Verkehrsinseln abzuhängen, sollten Sie lieber auf den Strich gehen!“ – und da ist die Antwort kaum intelligenter als die ursprüngliche Aussage. „Gelbwesten“ und „rote Halstücher“ haben sich in ihren Positionen festgefahren und aus dieser Einbahnstraße führt nur ein Weg – der Dialog.

Doch genau dieser Dialog ist ein großes Problem und es wäre falsch, dieses Problem nur in einer der aktuell beteiligten Gruppen festzumachen. Klar, der Umstand, dass es die „Gelbwesten“ eigentlich gar nicht gibt und diese facettenreiche Bewegung es nicht einmal schafft, sich auf grundlegende Forderungen oder auch nur ein grundlegendes Vorgehen zu verständigen, erleichtert den Dialog nicht. Die einen wollen sich als politische Partei organisieren (der Umfragen zwischen 8 und 12 % der Stimmen einräumen), die anderen lehnen ein solches Vorgehen ab und inzwischen streiten sich die „Gelbwesten“ die Woche über untereinander, bevor sie am Wochenende losziehen, um die Innenstädte zu verwüsten. Doch auf der anderen Seite ist es keinen Deut besser. Die französische Regierung erweist sich als unfähig, den angekündigten Dialog mit den Franzosen schnell und flüssig in die Wege zu leiten. Die Aussagen von Regierungsseite sind kaum schlauer als diejenigen der „Gelbwesten“. Die „roten Halstücher“ begleiten den Vorgang mit genauso aggressiven Slogans. Und gleichzeitig nehmen die Auseinandersetzungen bei den Demonstrationen immer mehr die Ausmaße eines Bürgerkriegs an.

Regierung und „Gelbwesten“ haben eines gemeinsam: Beiden fehlt es an glaubhaften Führungspersönlichkeiten. Auf der einen Seite schwebt „Jupiter“ Macron über allem und hat sichtlich Schwierigkeiten, die Lage im Land richtig einzuschätzen, auf der anderen Seite hört man vor allem selbstgefällige Großmäuler, die von Jeanne d’Arc und 1789 schwafeln. Dabei vergessen sie allerdings, dass die Französische Revolution 1789 von hoch intelligenten Akteuren gesteuert wurde (die trotz aller ihrer Intelligenz nur wenige Jahre später selbst einen Kopf kürzer gemacht wurden) und diese konkrete Ziele verfolgten, um konkrete Missstände zu beseitigen. Es ist mehr als zweifelhaft, ob die Französische Revolution stattgefunden hätte, wäre es 1789 um die „Kaufkraft“ gegangen. Doch in Zeiten, in denen die Menschen im Lebenslauf als Hobby „Shopping“ angeben, ist es wohl auch normal, dass die Menschen nicht etwa für Freiheit oder andere hehre Werte kämpfen, sondern um einen etwas volleren Einkaufswagen.

Die französische Regierung ist allerdings besser als ihr katastrophaler Ruf. In verschiedenen Bereichen arbeiten die Regierungsstellen bereits mit der Zivilgesellschaft zusammen, ohne dass über diese positiven Projekte ausreichend kommuniziert würde.

Vielleicht wäre es nicht schlecht, würden die „Gelbwesten“ am kommenden Samstag wenigestens einen ihrer „Akte“ ausfallen lassen, um die Zeit nicht fürs Randalieren, sondern für Nachdenken und Diskutieren zu nutzen. Das würde auch der Regierung die Zeit geben, das gleiche zu tun. Und dann sollten sich beide Seiten eben überwinden und sich mit Menschen an einen Tisch setzen, mit denen man ansonsten eher nicht zusammen am Tisch sitzt und auch das gilt für beide Seiten. Dazu sollte man überlegen, ob man nicht einen Schlichter einsetzt, der diesen Dialog steuert und beide Seiten im Blick hat.

Denn eines ist klar – die ursprüngliche Forderung der „Gelbwesten“ nach mehr sozialer Gerechtigkeit ist nach wie vor gültig und richtig. Und genau um diesen sozialen Fortschritt sollten sich die Gespräche drehen und zwar möglichst bald. Alle anderen Debatten sind gegenstandslos – und wenn die immer härter werdenden Straßenschlachten nicht sofort aufhören, wird dem Staat gar nichts anderes übrigbleiben, als diese Protestwelle mit Gewalt zu ersticken. Der einzige Weg aus dieser Spirale der Gewalt ist der Dialog. Doch den müssten beide Seiten erst einmal wollen. Die Zweifel beginnen bereits hier…

3 Kommentare zu Die Sprache der Weimarer Republik

  1. Ich lebe in Frankreich und kann nur sagen: ausgezeichnete Analyse der Situation!

  2. Wie viele andere Menschen auch versuche ich zu verstehen, was da vor sich geht. Was Motivation und was Panne ist. Objektive und gut recherchierte Berichte helfen dabei, plumpe Meinungsmache leider nicht. Und die Weimarer Republik kennen Sie bestimmt nicht persönlich.

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