Die Stunde der Beamten…

Wenn die Verwaltung das Regieren übernimmt – die niederländische Regierung musste daraufhin zurücktreten

Da hatte Mark Rutte noch gut lachen... Foto: EU2017EE Estonian Presidency / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(Karl-Friedrich Bopp) – Wenn die Verwaltung das Regieren übernimmt… Dieses Risiko ist alltäglich. Selten allerdings, dass es sich über mehrere Jahre fortsetzt. In einem Skandal um Kinderbeihilfen ist genau das von 2013 bis 2019 in den Niederlanden geschehen. Die Regierung musste daraufhin am 15. Januar 2021 zurücktreten.

Als Ministerpräsident Mark Rutte vor die Presse trat, begründete er den Schritt reumütig wie folgt: „Die Prinzipien eines Rechtsstaates verlangen, dass der einfache Bürger vor einer allmächtig erscheinenden Regierung geschützt wird. Dieses Prinzip wurde missachtet. Unschuldige wurden kriminalisiert“. Kleines Problem. Über die gesamte Laufzeit des Skandals war Rutte Ministerpräsident und trägt damit für das Fehlverhalten der Verwaltung die politische Verantwortung.

Was war passiert? Aus lauter Übereifer stoppten zwischen 2013 und 2019 Beamte wegen kleiner Verwaltungsfehler Kinderbeihilfen für Familien. Mehr noch, die Familien wurden gezwungen, die über mehrere Jahre erhaltenen Beträge, die sich in manchen Fällen auf mehrere zehntausend Euro beliefen, rückwirkend zurückzuzahlen. Nicht nur brachte diese Vorgehensweise diese Familien in finanzielle Probleme, viele sind daran schlicht zerbrochen. Nach ersten Schätzungen sind mehr als 20.000 Eltern betroffen. Besonders delikat, viele von ihnen wurden aufgrund ihrer doppelten Staatsangehörigkeit ethnisch profiliert.

Der Skandal wurde durch den Bericht einer parlamentarischen Untersuchungskommission bekannt, der im Dezember letzten Jahres veröffentlicht wurde. Inzwischen hat die Regierung Entschädigungen von 30.000 Euro pro Familie angekündigt.

Bleibt die Frage nach der politischen Verantwortung. Mehrere Minister werden beschuldigt davon gewusst, aber lieber die Augen davor verschlossen zu haben. Mindestens drei Minister der aktuellen Regierung werden sich wahrscheinlich in einem Rechtsverfahren verantworten müssen. Den Ministern wird kriminelle Fahrlässigkeit, Diskriminierung und Verletzung von Kinderrechten vorgeworfen. Und seit wann wusste der Ministerpräsident Bescheid?

Der Skandal kommt für Ministerpräsident Rutte zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Für den 17. März 2021 sind Parlamentswahlen angesetzt. Seit 2010 im Amt, lag er mit seiner liberal-konservativen Partei VVD in Umfragen zunächst weit vorn. Die schwer einzuschätzenden Risiken der Covid-19-Pandemie und die in diesem Zusammenhang zu treffenden oder nicht zu treffenden Maßnahmen hätten ihm die Wähler und Wählerinnen vielleicht noch nachgesehen. Werden sie ihm allerdings auch diesen Skandal verzeihen?

Wie gesagt, am 17. März 2021 wird demokratisch über die Zukunft von Mark Rutte entscheiden. Bis dahin bleibt seine Regierung kommissarisch im Amt.

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