Die Technokraten aus Schilda

Die erneute Fristverlängerung für den Brexit ist der politische Offenbarungseid der Europäischen Union. Kurz vor der Europawahl wird diese durch das Brexit-Spektakel stark entwertet.

Dieser Frau würde man keinen Gebrauchtwagen abkaufen - aber die EU tanzt weiter nach ihrer Pfeife. Foto: ScS EJ

(KL) – Worauf ist das politische Europa eigentlich jetzt so stolz? Die erneute Verschiebung des Brexit-Termins auf den 31. Oktober 2019 ist nicht mehr und nicht weniger als das Eingeständnis des völligen Versagens aller Beteiligten in den Brexit-Verhandlungen der letzten drei Jahre. Doch ist schwer nachvollziehbar, warum die EU nun dieses Theater nicht nur weiter duldet, sondern sich sogar zu eigen macht und als „Erfolg“ verkauft. Es kann nicht die Aufgabe der EU sein, die politische Zukunft einer schwer angeschlagenen Theresa May zu retten und dafür die europäischen Realitäten nur deshalb zu opfern, weil die Briten es einfach nicht schaffen, auch nur eine einfache Vorstellung davon zu haben, was sie eigentlich wollen. Den „Erfolg“ des Brüsseler Gipfels wird man am 26. Mai an der Wahlbeteiligung an der Europawahl ablesen können. Um es mit Thilo Sarrazin zu sagen: Europa schafft sich selber ab.

Ja, ja, schon klar – es gilt, um jeden Preis einen „Hard Brexit“ zu vermeiden. Um jeden Preis? Warum eigentlich? Wer will denn unbedingt aus der EU austreten und nimmt dafür die wirtschaftliche und politische Isolierung Großbritanniens in Kauf? Die Antwort auf das lemminghafte Verhalten der Briten kann es aber nicht sein, den ordnungsgemäßen Betrieb der europäischen Institutionen zu lähmen und sogar zu gefährden. Aber genau darauf haben sich in der Nacht auf Donnerstag die 27 EU-Mitgliedsstaaten geeinigt. Und dabei nicht etwa gezeigt, wie einig die Europäische Union ist, sondern im Gegenteil, einmal mehr zeigt die Europäische Union, dass sie nicht mehr handlungsfähig ist.

Und ein klares Ergebnis oder eine klare Haltung gibt es auch heute nicht – weder in Großbritannien, noch in Brüssel. Der Brexit könnte, theoretisch zu folgenden Terminen stattfinden: A) jederzeit, falls das britische Parlament doch noch beschließt, den vorliegenden Vertragsentwurf über den Brexit anzunehmen. Genau den, den es bereits dreimal abgelehnt hat. B) am 1. Juni, falls Großbritannien doch keine Europawahl organisiert hat. C) Am 31. Oktober, der dann nach dem 29. März und dem 12. April der nächste „unverrückbare“ Austrittstermine wäre. D) Noch viel, viel später, falls es den Briten einfallen sollte, dass man es dann doch nicht mehr so eilig mit dem Brexit hat und E) nie, falls Großbritannien doch noch den Rückweg von der Bananenrepublik zum demokratischen Staat findet und ein zweites Referendum organisiert.

Und dann, mitten in der Nacht zum Donnerstag, haben sich die Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten entschieden, sich vollends lächerlich zu machen. Denn diese erneute Fristverlängerung ist an Bedingungen gekoppelt, die eher einer Bande verfeindeter Kindergarten-Kinder entspricht als den Regierungen der 27 Mitgliedsstaaten. „Großbritannien bleibt ein Mitgliedsstaat mit allen Rechten und Pflichten. Der Europäische Rat hält die britische Selbstverpflichtung fest, sich verantwortungsvoll und konstruktiv während dieser verlängerten Frist zu verhalten.“ Das soll ja wohl ein Witz sein. Verantwortungsvolles und konstruktives Verhalten ist genau das, was Großbritannien und seinen Politikern seit Beginn des ganzen Brexit-Albtraums fehlt. David Cameron, Theresa May, Nigel Farage, Boris Johnson, Jeremy Corbyn – verantwortungsvoll und konstruktiv? Ob man in Brüssel selber glaubt, was man da erzählt? Die EU „erwartet“, dass die Briten nicht in Haushaltsdebatten oder politischen Themen wie einer europäischen Armee intervenieren. Was die Briten aber natürlich trotzdem machen können, da man ja gemeinsam festgehalten hat, dass „Großbritannien nach wie vor ein Mitgliedsstaat mit allen Rechten und Pflichten ist“. In der Praxis bedeutet das, dass die britischen Abgeordneten (sollte das Vereinigte Königreich an der Europawahl teilnehmen) im Europäischen Parlament tun und lassen können, was sie wollen. Das ist etwa so, als würde man einem Gefängnisausbrecher den Hauptschlüssel des Gefängnisses mit der Bitte aushändigen, er solle sich verantwortungsvoll und konstruktiv verhalten. Enorm.

Das einzig Sinnvolle, was man da in Brüssel ausgebrütet hat, ist die nach wie vor aufrecht erhaltene Option für Großbritannien, den Antrag auf Austritt wieder zurückzunehmen und damit diese hausgemachte Katastrophe zu vermeiden.

Ja, alle haben Angst vor dem „Hard Brexit“ - mit dem Theresa May in Brüssel und in Westminster droht. Doch bewegen wir uns nun auf eine Güterabwägung zu: Was verursacht den größeren Schaden – ein ungeregelter Brexit, der in erster Linie die Implosion und den Zerfall des Vereinten Königreichs zur Folge haben wird, oder die auf unbestimmte Zeit vorgesehene Lähmung der Arbeit der europäischen Institutionen?

Großbritannien hat es relativ geschickt hinbekommen, dass aus dem Brexit in erster Linie ein Problem der EU geworden ist. Doch warum akzeptiert die EU, dass die Briten die Arme verschränken und lediglich sagen: „Wir wollen aus der EU austreten – seht zu, dass ihr uns dafür ein attraktives Angebot macht!“ Dadurch, dass die EU nun bereits zum dritten Mal vor Theresa May einknickt, statt ihr die Regeln für den von ihr geradezu krankhaft betriebenen Brexit zu diktieren, unterstreicht einmal mehr den Ruf der EU als „zahnloser Papiertiger“. Die Welt lacht – nicht nur über die spleenigen Briten, sondern auch über das politische Versagen der EU, die gerne ein großer Player auf der Weltbühne wäre, doch in ihren Entscheidungsprozessen nicht viel wirkungsvoller als Liechtenstein ist.

Richtig freuen können sich eigentlich nur die Anwälte in Europa. Denn die Lachnummer, die gerade zwischen London und Brüssel abläuft, wird auf Jahre hinaus Arbeit für Rechtsanwälte geben, denn es gibt praktisch keinen Punkt in den geplanten Verfahren, der rechtlich unangreifbar wäre.

Am Ende hilft dann auch keine politische Kommunikation mehr. Die Macrons, Merkels, Kurz oder Mays können uns gerne erzählen, dass diese erneute Fristverschiebung ein politischer Erfolg sei und man gerade noch das Schlimmste verhindern konnte, doch die Menschen sind weniger blöd, als man das auf Ebene der Europäischen Rats wohl glaubt. Diese Generation hat es geschafft, die Grundpfeiler der Europäischen Union ins Wanken zu bringen und damit die Nachhaltigkeit des Europäischen Projekts ernsthaft zu gefährden. Es ist Zeit, sie abzuwählen. Am 26. Mai vielleicht?

2 Kommentare zu Die Technokraten aus Schilda

  1. Herr Littmann, so verständlich Ihre Position ist, Lamente hilft nicht.

    1. Nie stand die EU schlechter da als heute. Reformen im Inneren und im System sind unumgänglich. Und der Luxemburger nuschelt halt weiter rum.

    2. Der erneute Aufschub bringt die Chance einer langsamen Verschlechterung der ‚wirtschaftlichen Situation und erhöht die Wahrscheinlichkeit eines zweiten Referendums. Wenn die draußen sind. Ist es zu spät.

    Also schauen wir dem Theater (Eintritt übrigens frei) weiter zu und hoffen wir mal das Beste. Vielleicht gelingt es mit 2) den Punkt 1) endlich in die Gänge zu kriegen.

    • Eurojournalist(e) // 15. April 2019 um 11:58 // Antworten

      Ich glaube, zu dem Punkt der Reformbedürftigkeit der europäischen Institutionen, herrscht weitestgehend Einigkeit. Ich bin gespannt, ob irgendwann mal jemand in diesen Institutionen anfängt, sich ernsthaft mit einem “neuen europäischen Projekt” zu beschäftigen…

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