Die Türkei fährt mit Vollgas zurück ins Mittelalter

Eine „Fatwa“ der türkischen Religionsbehörde verbietet jungen Paaren so ziemlich alles, was junge Paare zusammen tun. Staatsgründer Kemal Atatürk würde sich im Grab umdrehen.

"Küssen verboten" heisst es ab sofort am Bosporus. Ach ja, Händchenhalten auch. Willkommen in der Steinzeit! Foto: Vinicio97 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Das sollen unsere neuen Partner in der EU werden? Eine „Fatwa“, also ein religiöses Gutachten der türkischen Religionsbehörde „Diyanet“ ächtet ab sofort das, was Verliebte gemeinsam tun – Händchenhalten, sich küssen und jedes andere Benehmen, „das nicht vom Islam gebilligt“ wird. Und das ist eine ganze Menge. Die „Islamisierung“ der Türkei ist angesichts des mehr als unklaren Verhältnisses des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zum „Islamischen Staat“ sehr beunruhigend – er verwandelt gerade die laizistische Türkei in einen vom Islam geprägten Staat, in dem die Imame bald ebenso viel zu sagen haben wie in anderen Nachbarstaaten der Türkei. Aber ob der Weg zurück in die religiöse Steinzeit kompatibel mit den Plänen eines EU-Beitritts der Türkei ist?

Die Türkei ist auf einem gefährlichen Weg, der sie immer weiter weg von Europa führt und man muss sich langsam überlegen, ob es überhaupt noch mit „europäischen Werten“ vereinbar ist, mit der Türkei Beitrittsverhandlungen zu führen und mit Ankara Absprachen zum Umgang mit den syrischen Flüchtlingen zu treffen. Dabei wurde die Türkei von Kemal Atatürk als explizit laizistischer Staat gegründet – Atatürk wollte den Einfluss der Religion auf das staatliche Leben eindämmen, genau diesen Einfluss, der heute zu hoch gefährlichen Spannungen führt, beispielsweise zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, aber auch in Syrien, dem Irak, Afghanistan und der ganzen Region. Doch Recep Tayyip Erdogan steht den Fundamentalisten sehr nahe und baut gerade Stück für Stück die Errungenschaften der modernen Türkei ab. Menschenrechte, Pressefreiheit, Umgang mit Minderheiten, der brutale Krieg gegen die Kurden, Hetzjagden auf Homosexuelle, politische Morde – all das fällt unter die Herrschaft Erdogans, ohne den sich auf die „Diyanet“ nicht getraut hätte, eine solche „Fatwa“ herauszugeben.

Doch die Zeiten für islamistische Fundamentalisten sind gut in der Türkei, die nach wie vor ein doppeltes Spiel im Syrien-Konflikt spielt. Verschiedene Reporterteams haben es selbst getestet – wer über die Türkei zum „IS“ gelangen will, hat keinerlei Schwierigkeiten zu befürchten. Die Türkei ist und bleibt das Transitland, über das die Terroristen des „IS“ weiter ihren Nachwuchs rekrutieren können, während gleichzeitig die Grundzüge des islamischen Rechts in der Türkei weiter verankert werden.

Der richtige Zeitpunkt, die Türkei in die EU zu integrieren, wäre vor 20 Jahren gewesen, jetzt ist es dafür zu spät. Vor 20 Jahren, als die UdSSR zusammengebrochen war und die Türkei gemeinsam mit den ehemaligen Sowjetrepubliken, die von Turk-Völkern bewohnt werden, wie Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan und anderen, von einem „Ottomanischen Reich 2.0“ unter Führung von Ankara träumte, hätte man die Türkei an die EU anbinden sollen. Sogar wirtschaftlich wäre das sehr sinnvoll gewesen, denn zu dem Zeitpunkt wäre die Türkei die sechstgrößte Volkswirtschaft der EU gewesen, deren Entwicklungspotential weitaus grösser war und ist als das zahlreicher anderer EU-Mitgliedsstaaten. Doch damals und seitdem lautete das Hauptargument der Gegner eines EU-Beitritts der Türkei, dass das Land mehrheitlich moslemischen Glaubens sei und dass das eben einfach nicht zur EU passen würde.

Heute kann die Türkei kein Partner der EU sein – schon gar nicht, solange nicht nachweislich geklärt ist, was an den Vorwürfen gegenüber dem Erdogan-Clan ist, der unter massivem Verdacht steht, lebhaften Handel mit dem „IS“ zu treiben. Ein Land, das sich am Steinzeit-Islam der arabischen Welt orientiert, kann unmöglich Mitglied der Europäischen Union werden – hier stoßen Welten aufeinander und der Graben, den Erdogan zwischen seiner und der europäischen Welt zieht, wird täglich tiefer. Da ist das „Küss- und Händchenhalten-Verbot“ nur ein weiterer Schritt zurück in eine archaische Gesellschaft, die erstaunlich dem ähnelt, was der „IS“ in seinem „Kalifat“ einrichten will. Und das hat mit Europa nun wirklich nichts zu tun.

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