Die „Ultras“ wollen den Titel

Erster Heimsieg im ersten Heimspiel unter den Augen von 16.000 Zuschauern – Racing Straßburg spielt wieder in der Zweiten Liga. Doch schon gibt es Klagen: die „Ultras“ auf der neuen Fan-Tribüne sind viel zu laut.

Endlich - nach 6 Jahren rollt in Strassbourg wieder der Zweitligaball... Foto: Ralph Hammann / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(Von Michael Magercord) – Neue Spieler, ein neuer Trainer – Racing Straßburg ist nach einem 6-jährigen Marsch durch die Institution der unteren Fußball-Ligen in der 2. Spielklasse angekommen. Insolvenz, freiwilliger Abstieg und mühsamer Aufstieg sind bittere Geschichte, der Blick ist nach vorn gerichtet und dazu gehört auch eine umfassende Umgestaltung des Umfeldes, was ja zunächst einmal das Stadion selbst ist.

Beim ersten Heimspiel der neuen Saison von Racing im Stadion in der Meinau am letzten Samstag gegen Mitaufsteiger Amiens hat sich lautstark und unübersehbar gezeigt, wie das aussieht. Nein, natürlich nicht nur auf der umgestalteten VIP-Tribüne. Die wichtigste Neuerung im Stadion ist nämlich die Fankurve, die nun keine mehr ist, sondern zur „blauen Wand“ mutiert ist – Blau, wie die Vereinsfarbe.

Zuvor standen die Fans der „Ultras 90“ dicht gedrängt in einer Ecke, schwangen ihre Fahnen und sangen von dort in das 24.000-Zuschauer fassende Stadion hinein. Vor dem Umzug auf die lange Westtribüne stand die bange Frage im weiten Raum: Wird die neue Fanzone nicht zu groß sein, um die gleiche atmosphärische Dichte herzustellen?

Fanvereinigungen haben die Trommel gerührt und alle, die nicht um Urlaub weilten, wurden mobilisiert, und siehe: am Samstag war die 3.500-Zuschauertribüne nicht nur voll, nicht nur animiert, nicht nur voller Ideen zur dem, was mit dem aus dem Ballett geklauten Begriff Choreografie bezeichnet, inklusive Hüpfen, Beugen, Arme hoch, Arme nach vorn, Hände ausschütteln und hopp wieder hoch, es gab nicht nur das von Isländern geklaute Wikingerklatschen, sondern es war zudem auch laut, richtig laut. Und das über die gesamten neunzig Minuten hinweg.

Es hatte sich eben gelohnt, alle, die wollen, zum Mitmachen eingeladen zu haben. Übrigens können auch Gäste von der anderen Seite des Rheins ohne Sprachkurs einsteigen: „Jetzt geht’s los“ heißt es nach einer guten Chance der Heimmannschaft, und dem rot bestraften Gegenspieler wird zum Abschied „Auf Wiedersehen“ hinterhergerufen. Dann allerdings müssen auch sie sich nach dem Spiel harsche Trainerkritik gefallen lassen. Dem Racing-Coach Thierry Laurey waren die Fans nämlich schon viel zu laut: Die Spieler hätten auf dem Spielfeld seine Anweisungen von der Trainerbank nicht mehr hören können.

Aber bei aller Vereinsliebe – darauf können die Ultras keine Rücksicht nehmen. Denn sie müssen nicht nur mit Racing den Aufstieg erringen oder zumindest die Klasse halten, sondern einen richtigen Titel holen und Sieger werden im Wettbewerb um den „Besten 12. Mann im französischen Profifußball“.

Der „12. Mann“ – diese wunderbare Legende, die sich aus den Untiefen der Anfänge des Fußballs in die harte Welt der Profis tradieren ließ und mit der man nun halbwegs erwachsene Menschen dazu veranlassen kann, ihr letzten Hemd für ein überteuertes Vereinstrikot herzugeben, ist wettbewerbsfähig geworden. Willkommen in der Leistungsgesellschaft! Aber alles andere wäre ohnedies Illusion, denn was sonst ist ein modernes Fußballstadion, wenn nicht das Abbild der modernen Gesellschaft selbst?

Da sind die 22 Spieler und der Trainer, die in der Öffentlichkeit stehen und ihr Spiel auf abgezirkeltem Grund nach halbwegs klaren Regeln austragen, die trotzdem auch immer wieder die ein oder andere Überraschung zulassen – sogar manchmal das Ergebnis. Übertragen auf die moderne Gesellschaft sind sie also so etwas wie Politiker. Und Fans sind das Volk, das die eine oder die andere Mannschaft – Partei – unterstützen darf, am Stammtisch und sogar ab und an sogar in der Wahlkabine. Aber wirklich ändern tut das nichts. Die wahren Herrscher sind andere, sie agieren im Verborgenen, verborgen hinter gläsernen Fassaden – ob von Bürotürmen oder VIP-Tribünen.

Für den Bestand des Zustandes ist es nun unabdingbar, die Urgewalt der Massen zu kanalisieren: Der Wettbewerb um den besten 12. Mann wurde von der Ligavereinigung LFB ausgelobt, vier Kategorien gilt es zu erfüllen: Treue, Animation, Stimmung und Aktivität in den Sozialen Netzwerken. Um am Ende wird der meisterliche beste 12. Mann ermittelt.

Dazu muss man auch in Kauf nehmen, dass die eine oder andere Anweisungen des Trainers nicht ankommt, zumal dabei im ersten Spiel trotz einer in langen Strecken eher lauen Sommerpartie ein 1:0 Sieg heraussprang. Auch dank der Gästemannschaft, die sich durch ein ebenso überhartes wie überflüssiges Foul noch in der 1. Halbzeit spielentscheidend dezimiert hatte: „Auf Wiedersehen!“. Nach diesem Spiel sind für Racing jedenfalls noch beide Meisterschaften in Reichweite, sofern man das nach dem zweiten Spieltag schon sagen kann.

Und weil es eben erst der Anfang war, hier noch eine Anmerkung in eigener Sache: Was sich nämlich gar nicht geändert hat im Stadion, ist die lausige Behandlung des 13. Mannes, ohne den es weder beim Fußball noch in der Gesellschaft geht. Das sind nämlich die Journalisten, ohne deren Berichte gar nichts stattgefunden hat, weder im Stadion noch im Reichstag. Man muss ihnen schmeicheln, und wenn es nur durch die Versorgung mit den Brosamen ist, die vom reich gedeckten Tisch der VIPs abfallen. Journalisten kann man doch nicht in der Pause einfach unversorgt herumsitzen lassen, hungrig, durstig und im Winter unterkühlt? Das ist weit vom 2. Liga-Niveau entfernt und garantiert nicht preisverdächtig. Sollte das so bleiben, wird an dieser Stelle natürlich trotzdem weiter von der laufenden Meisterschaft berichtet, allerdings nur von der des 12. Mannes!

1 Kommentar zu Die „Ultras“ wollen den Titel

  1. Peter Cleiß // 9. August 2016 um 10:29 // Antworten

    Die Schlussbemerkung in eigner Sach ist bemerkenswert: ohne die Berichte der Journalisten hat etwas gar nicht stattgefunden schreibt M. Magercorde. Und mit dem Bericht dann wohl nur so, wie es der jeweilige Journalist berichtet, richtig?
    Und wie berichtet der Journalist der vom Veranstalter nicht eingeladen wurde und dies aber gerne werden möchte?

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