Die unbeschwerte Leichtigkeit des Seins in Deutschland

Während die halbe Welt gerade mit massiven Maßnahmen gegen die viel zu schnelle Ausbreitung des SARS-CoV-2 kämpft, trödelt sich Deutschland in eine riesige Krise hinein.

Diese beiden Polizisten sollen also dafür sorgen, dass SARS-CoV-2 nicht nach Deutschland kommt. Mundschutz? Mindestabstand? Ein trauriger Witz... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Deutschland ist der aktuellen Corona-Krise nicht gewachsen. Die Warnungen des Robert-Koch-Instituts, das die Bedrohung für die Volksgesundheit am Montag von „mittel“ auf „hoch“ angehoben hatte, verhallen ungehört – die Deutschen nehmen die Bedrohung durch das Coronavirus einfach nicht ernst. Statt in Abstimmung mit den europäischen Partnern die radikalen Maßnahmen zu ergreifen, die jetzt dringend erforderlich wären, begnügt sich Deutschland mit Mini-Maßnahmen, die völlig wirkungslos verpuffen werden. Während in Straßburg die Bevölkerung eine Ausgangssperre managen muss, sind in Baden-Baden weiter die Restaurants geöffnet. Und selbst die Polizeisperren an der ansonsten geschlossenen Grenze sind ein trauriger Witz.

Schauen Sie sich ruhig einmal unser Artikelbild an. Beide Polizisten tragen keinen Mundschutz, nur die Polizistin trägt Handschuhe. Von Mindestabstand zu der kontrollierten Person, aber auch untereinander, kann keine Rede sein. Das sind also die Beamten, die dafür sorgen sollen, dass das Virus nicht über die Grenze kommt – eine Farce. Gleichzeitig kann man in Baden immer noch den Frühling auf einer Terrasse genießen, vorausgesetzt, die Tische befinden sich in 1,5 Meter Abstand. Wie es mit Leuten aussieht, die gemeinsam am Tisch sitzen, darüber schweigt die Stadt Baden-Baden.

Deutschland hat immer noch nicht den Ernst der Lage erkannt, trotz aller Warnungen von Ärzten, der WHO und anderen Organisationen. Gestern erklärte der Leiter des RKI in Berlin, dass sich ohne sofortige Maßnahmen bis zu 10 Millionen Deutsche mit dem Coronavirus infizieren könnten. Selbst, wenn bei rund 80 % der Infizierten eine solche Infektion harmlos bis milde verläuft, bleiben die 20 %, bei denen der Krankheitsverlauf schwerer ist, bis hin zum tödlichen Verlauf. Kann man in Deutschland nicht rechnen? Jetzt erst die „Empfehlung“ auszusprechen, die Länder mögen doch nicht lebenswichtige Geschäfte schließen, ist ein erster, richtiger Schritt, der aber a) viel zu spät kommt und b) alleine bei weitem nicht ausreicht.

Mütter, die ihre Kleinkinder auf den Spielplatz mitnehmen („Die Kleinen können ja nicht den ganzen Tag daheim hocken!“), Freude, die im Park gemeinsam grillen, Spaziergänge ohne jeden Schutz – Deutschland scheint davon auszugehen, dass dieses Virus der kernigen deutschen Volksgesundheit nichts anhaben kann. Immerhin, bei uns gibt es ja viel weniger Todesfälle als anderswo.

Denkfehler – die Deutschen sind keine Immun-Supermänner, bei uns findet nur einfach die Entwicklung zeitversetzt zu der in Italien statt. Dass sich die deutschen Behörden nicht im geringsten um eine Abstimmung mit den europäischen Nachbarn bemühen und stattdessen einfach einseitig die Grenzen schließen, das zeigt, dass man noch nicht verstanden hat, wie unmittelbar die Bedrohung ist.

Nachdem Deutschland bereits Italien Hilfe verweigert hatte, trampelt man nun auch auf den über Jahre und Jahrzehnte aufgebauten deutsch-französischen Beziehungen herum. Gestern flog die französische Armee sechs Schwerkranke bis ins südfranzösische Toulon, wo man sich besser um sie kümmern kann und um sechs wertvolle Intensiv-Betten frei zu machen. Warum gibt es keinen deutsch-französischen Krisenstab, der grenzüberschreitend die Krankenhaus-Kapazitäten managt, den Einsatz von Ressourcen, die Durchführung von Informations-Kampagnen? Wofür haben wir eine schier unübersichtliche Anzahl deutsch-französischer Einrichtungen, wenn diese alle zusammen genau in dem Moment nicht funktionieren, wenn man sie braucht?

Deutschland muss, wie andere Länder auch, eine Ausgangssperre verhängen und zwar in Absprache mit den Nachbarn. Es reicht nicht, immer wieder stolz auf die tolle Krankenhaus-Infrastruktur hinzuweisen – bei mehreren Millionen Infizierten bricht auch die leistungsstärkste Struktur zusammen. Es bleibt nicht viel Zeit, sich mit den Nachbarn abzustimmen, statt diesen einfach die Grenze vor der Nase zu schließen.

Vermutlich wird Deutschland erst dann aufwachen, wenn es im Land der Dichter und der Denker genau so viele Opfer gibt wie in Italien, dem Iran oder in Frankreich. Dann wird man reagieren. Doch dann wird es zu spät sein, noch wirkungsvoll gegen das SARS-CoV-2 vorzugehen. Warnungen gab es reichlich – was immer aufgrund des zögerlichen Vorgehens an Konsequenzen geben wird, so wird man eines Tages auch die Verantwortung für dieses kollektive Versagen zu analysieren haben. Denn die Bundes- und Landesregierungen tun gerade eines nicht – Schaden und Unheil von der Bevölkerung abzuwenden. Und das ist, zumindest laut Grundgesetz, der Hauptjob unserer Regierung(en). Aber auch das scheint nicht zu interessieren, wenn die Sonne gerade scheint…

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