Die unerträgliche Arroganz der „Querdenker“

Tausende „Querdenker“ stürmen die Innenstadt von Kassel, tragen keine Masken, halten keinen Abstand und heizen das Infektionsgeschehen weiter an. Langsam reicht es.

Ein "Querdenker", der uns die Welt erklärt. Dazu braucht er auch keine Maske... Foto: Tony Couch / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Nein, die „Querdenker“ sind nicht das Volk. Das Volk, das sind die anderen, diejenigen, die sich seit über einem Jahr diesen ganzen Mist antun, Masken tragen, Abstände einhalten, die sanitären Vorgaben beachten, obwohl es niemandem Freude macht. Das Volk, das sind diejenigen, die verstanden haben, dass der Kampf gegen das Virus und seine Varianten nur gemeinsam geführt werden kann. Das Volk, das sind diejenigen, die versuchen solidarisch zu sein, das sind diejenigen, die Angehörige, Freunde und Bekannte verloren haben, die elendig an, mit, wegen diesem Virus gestorben sind. Das Volk, das sind sicher nicht diejenigen, die meinen, mit dieser unglaublichen Besserwisser-Arroganz allen anderen ihre schrägen Sichtweisen aufzwingen zu können.

Was haben die „Querdenker“ denn außer sinnentleerten Slogans als Lösungswege anzubieten? Hinter Neonazis und Reichsbürgern durch die Gegend zu stolpern und „Merkel muss weg!“ zu grölen, das wird wohl nicht reichen, um das Virus zu vertreiben. Oder in den Wald gehen und Bäume umarmen? In Menschenketten „We shall overcome“ singen?

Es mag sein, dass die eine oder andere Fragestellung der „Querdenker“ nicht falsch ist. Doch wer will schon ernsthaft mit durchgeknallten Aluhüten diskutieren, die gemeinsame Sache mit dem rechtsextremen Abschaum der Republik machen und bei ihren Zusammenkünften nichts anderes zu tun haben, als das Virus weiter durch die Gegend zu streuen? Aktionen wie in Kassel am Wochenende bewegen sich irgendwo zwischen Schwachsinn und aktiver Gefährdung der Mitmenschen.

Viele der von den Regierungen getroffenen Maßnahmen sind ebenso dämlich und chaotisch wie die Demonstrationen der „Querdenker“. Dagegen zu demonstrieren ist ein hohes Gut, das von allen Seiten geschützt und verteidigt wird. Nein, die Demokratie ist nicht abgeschafft worden und es darf immer noch jeder sagen, was er denkt. Nur – in einer Pandemie, in der für die gesamte Bevölkerung Regeln gelten, mit denen die weitere Ausbreitung des Virus und seiner Varianten verhindert werden soll, gelten diese Regeln eben auch für „Querdenker“. Diese Regeln beinhalten das Tragen von Masken und das Einhalten von Abständen. Dies wird auch von den Behörden und Gerichten gesagt, die mit Bauchschmerzen die „Querdenker“-Demonstrationen genehmigen, um dieses hohe Gut der Demokratie zu schützen. Wer sich für seine freie Meinungsäußerung bewusst über diese Regeln hinwegsetzt, negiert die Grundregeln der Demokratie und gefährdet seine Mitmenschen. Sich dazu auch der Unterstützung von Neonazis und anderem Gesocks zu bedienen, ist schlicht widerlich.

Die „Querdenker“ sind nicht etwa „Das Fähnlein der sieben Aufrechten“, wie sie Gottfried Keller beschrieb, sondern das Sammelbecken derjenigen, die bisher das unendliche Glück hatten, im Gegensatz zu Millionen anderen von diesem Virus verschont geblieben zu sein und deshalb fälschlicherweise folgern, dass das Virus gar nicht existiert. Dies ist allerdings nicht unbedingt ein Zeichen für einen ungewöhnlichen Durchblick, sondern eher dafür, dass diese Leute bisher noch nicht verstanden haben, dass gerade Gesundheit, Wirtschaft und sozialer Zusammenhalt in unseren Ländern durch ein aggressives Virus massiv gefährdet sind.

Dass sich „Querdenker“ nicht impfen lassen wollen, weil sie befürchten, dass die durchsichtige Impfflüssigkeit ebenso durchsichtige und von Bill Gates gebastelte Minichips enthält, das ist ihr gutes Recht. Das dürfen sie auch laut und vernehmbar durch die Weltgeschichte brüllen. Was sie allerdings nicht dürfen, ist dies im Rahmen von Zusammenkünften von „Querdenkern“ zu tun, die gegen die rechtsstaatlichen Auflagen für diese Demonstrationen verstoßen. In Zeiten dieser Pandemie sind solche Verstöße keine Bagatelle, sondern der Versuch, Dritte in ihrer körperlichen Unversehrtheit zu schädigen.

Es reicht. Die „Querdenker“ demonstrieren nicht etwa für „das Volk“, sondern sie agieren offen gegen das Volk. Ihre Aktionen machen die Anstrengungen des „wirklichen Volks“ zunichte, das seit einem Jahr unglaubliche Einschränkungen hinnimmt, in der Hoffnung, dieses mörderische Virus kollektiv irgendwie in den Griff zu bekommen. Masken tragen, sich die Hände zu waschen, Abstand halten und auf seine Mitmenschen zu achten ist keine unzumutbare Forderung, sondern ein einfacher solidarischer Beitrag dazu, die rasante Ausbreitung eines gefährlichen Virus zumindest zu verlangsamen. Es wäre an der Zeit darüber nachzudenken, konsequent gegen die Organisatoren von Demonstrationen vorzugehen, bei denen sich die Teilnehmer nicht an die Regeln halten.

Die Situation ist schon schwierig und angespannt genug, als dass wir jetzt auch noch Veranstaltungen bräuchten, bei denen das Virus munter verbreitet wird und sich die „Vorschläge“ auf leere Slogans beschränken, die nichts, aber auch gar nichts zu einer Verbesserung der Lage beitragen.

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