Die Vertrauenskrise

Zusätzlich zur Coronakrise und der drohenden Wirtschafts- und Sozialkrise sieht man immer deutlicher auch eine Vertrauenskrise. Viele Franzosen trauen einer Regierung nicht mehr, die sie lange belogen hat.

Durch die französische Gesellschaft verläuft heute ein Graben, der fast so tief wie der Sankt-Andreas-Graben ist... Foto: Leohotens / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Seit der TV-Ansprache des französischen Präsidenten sind die Debatten in den sozialen Netzwerken (wo auch sonst?) aufgeheizter als je zuvor. Es stellt sich die Frage, warum die Situation in Frankreich eskaliert, ganz anders als in anderen Ländern, in denen man das Gefühl hat, dass Regierung und Bevölkerung näher zusammenrücken, um diese und die Folgekrisen gemeinsam zu meistern. In Frankreich ist das anders. Die „Diskussionen“ im Internet sind eigentlich schon keine Diskussionen mehr, sondern eher ein Austausch von Schlagwörtern, Beleidigungen und Drohungen.

Präsident Macron hat in seiner Ansprache viele Fehler eingeräumt, doch am Ende konnte er dann doch nicht aus seiner Haut. Mit dem Satz „In dieser Krise müssen wir uns alle neue erfinden, ich als allererstes“ schob er den Franzosen und Französinnen wieder einmal den Schwarzen Peter zu. Nur, warum sollten sich die Französinnen und Franzosen ändern? Was haben sie in dieser Situation falsch gemacht? Haben sie die Regierung belogen oder war es die Regierung, die sie belogen hat? Dass sich der Präsident ändern will, das ist eine feine Sache und dringend angebracht, denn die Art und Weise, mit der er seit Amtsantritt sozial Schwache, Arbeitslose und Minderheiten von oben herab beleidigt, die wäre tatsächlich änderungswürdig. Allerdings muss man einräumen, dass diese Arroganz gegenüber den „kleinen Leuten“ keine Erfindung Macrons ist, das haben auch seine Vorgänger Hollande und Sarkozy getan. Was es allerdings nicht besser macht.

Ohne konkret auf das einzugehen, was Macron am Montagabend verkündete oder eben auch nicht, lohnt sich ein Blick auf die sozialen Spannungen im Land, die nicht mit der Coronakrise, sondern mit den „Gelbwesten“ im November 2018 begann. Dieser Sozialkrise wurde zunächst nicht, dann aber mit Polizeigewalt begegnet, was bei den Protesten gegen die geplante Rentenreform weiterging. Diese Spannungen sind nun, während der Ausgangssperre, nicht etwa vorbei und vergessen, sondern schwelen wie in einem Schnellkochtopf – da versteht man, warum das Thema „Ende der Ausgangssperre“ erst einmal nach hinten verschoben wird.

Da nützt es auch nichts, dass die regierungstreue Pariser Presse eilfertig höchst seltsame Umfragen veröffentlicht, nach denen 2/3 der Franzosen und Französinnen hellauf vom Krisenmanagement der Regierung begeistert sein sollen, räumt doch schon der Präsident selber ein, dass das bisher ziemlich mau war. Auch die veröffentlichten Beliebtheitswerte der Regierungsmitglieder haben schon etwas Russisches an sich. Schwer zu glauben, dass einzelne Minister innerhalb weniger Tage 35 % an Zustimmung draufgepackt haben. Zumal es auch nichts Bahnbrechendes gab, was so etwas rechtfertigen würde, im Gegenteil.

Vieles von dem, was Macron am Montagabend sagte, ist im Grunde richtig gewesen. Dass er weitere Schritte von der weiteren Entwicklung und einem besseren Kenntnisstand abhängig macht, was soll daran falsch sein? Dass er Zeitziele in Aussicht stellt, da er seiner Bevölkerung nicht sagen kann, dass alle auf unbestimmte Zeit eingesperrt sein werden, nachvollziehbar. Dass er Programme für die Ärmsten der Armen ankündigt, lobenswert. Dass er etwas schwammig eine Neubewertung des Status der helfenden Berufe in Aussicht stellt, völlig richtig. Einziges Problem – nach zweieinhalb Jahren seiner Amtszeit glauben ihm viele Franzosen und Französinnen nicht mehr.

Es läuft heute ein Riss durch die französische Gesellschaft. Marons Anhänger schießen verbal auf alles, was nicht das Mantra vom „jungen, schönen Präsidenten, um den uns die ganze Welt beneidet“ nachbetet, seine Gegner schießen zurück und befürchten, dass Macron sie bedenkenlos an die Front schickt, an der noch ein Virus tobt, damit nur seine Freunde aus dem Großkapital wieder ihre Gewinne machen können. Beide Positionen sind sehr realitätsfremd, bestimmen heute aber die Diskussionen in Frankreich. Und warum nur in Frankreich? Warum bereiten sich andere europäischen Regierungen nicht auf bürgerkriegsähnliche Zustände vor?

Der Grund liegt eben in diesen vergangenen zweieinhalb Jahren. An einer geradezu obszönen Zurschaustellung des Konzepts „Macht“, die es in dieser Form nicht einmal mehr in den letzten Monarchien Europas gibt. Den Franzosen und Französinnen fehlt es seit vielen Jahren, nicht erst seit dem Amtsantritt Macrons, an Dingen wie Wertschätzung, Anerkennung ihrer Leistungen, sozialer Sicherheit. Da kommt es schlecht an, wenn der Präsident suggeriert, dass Arbeitslose einfach nur faul sind und lediglich die Straße zu überqueren hätten, um einen Job zu finden, wie bereits geschehen. Da kommen die vielen Skandale in der Regierung schlecht – seit Beginn seiner Amtszeit mussten 14 Mitglieder seiner Regierung wegen verschiedener Machenschaften ausgetauscht werden, 3 weitere warfen lieber selber das Handtuch. Und dazu ist es erst wenige Wochen her, dass Macron selbst seine Regierungstruppe und Abgeordneten als „Amateure“ bezeichnete. Wie soll die Bevölkerung da Vertrauen aufbauen?

Wenn Macron tatsächlich anfangen will, sich zu ändern, sollte er als erstes seine unsägliche Regierungssprecherin Sibeth Ndaye entlassen, die mit ihrem eitlen und teilweise unglaublich dämlichen Geplapper zeigt, dass diese Regierung ihre Bevölkerung für Vollidioten hält. In jedem europäischen Land wäre diese Regierungssprecherin nach dem zweiten, spätestens nach dem dritten Klops gefeuert worden. In Paris darf sie davon drei bis vier pro Woche bringen.

Macron wird es sehr schwer haben, das verlorene Vertrauen seiner Bevölkerung bis zum Ende der Corona-Krise zurück zu gewinnen. Daran ändern weder schöne Ansprachen, noch höchst fragwürdige Umfragen etwas. Er muss liefern, Ergebnisse nicht ankündigen, sondern nachvollziehbar erreichen. Dafür hat er etwas weniger als vier Wochen Zeit. Diese sollten ihm allerdings auch seine Kritiker einräumen, denn Hand auf’s Herz, wer wollte in der aktuellen Situation und angesichts einer Kette von unglaublichen Krisen anstelle des Präsidenten die Entscheidungen zu treffen haben?

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