Die Wahnsinnigen werden immer mehr…

Die Demokratie, wie wir sie kennen, ist in ihren Grundfesten erschüttert. Doch das, was die Politiker weltweit beklagen, haben sie selbst zu verantworten.

Die Unruhen in Brasilien ähneln denen in den USA. Demnächst auch im europäischen Kino... Foto: _Jefferson Rudy / Agência Senado / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Dass die Welt aus den Fugen gerät, das sieht jeder. Ob es nun der Sturm aufs Capitol der Trump-Anhänger ist, die Wahlerfolge von neonationalistischen Kandidaten in Europa, wie in Schweden oder Italien, oder nun der Sturm auf die Institutionen in Brasilien – die Angriffe auf die Demokratie sind immer häufiger und gewalttätiger. Doch diejenigen, die diese Entwicklung zu verantworten haben, rätseln weiterhin, wie es so weit kommen kann.

Die Bilder aus Brasilia sind ebenso schockierend wie diejenigen des Sturms auf das Capitol in Washington. Dabei muss man unterstreichen, dass die Trumps, Bolsonaros & Co. nur deshalb ihre Angriffe gegen die Demokratie fahren können, weil diese nicht mehr funktioniert. Diejenigen, die heute am lautesten gegen diese Gewaltexzesse protestieren, sind auch diejengen, die durch jahrzehntelanges Versagen den Aufstieg dieser Möchtegern-Diktatoren ermöglicht haben. Würden die demokratischen Kräfte in diesen Länern funktionieren, gäbe es diese Gewaltausbrüche nicht und die Neonationalisten würden in ihrer Rolle als politisch unbedeutende Brunnenvergifter verharren.

Doch da die traditionellen politischen Kräfte derart unfähig sind, die aktuellen Herausforderungen zu meistern, gekoppelt mit einer immer sichtbareren Korruption, haben die Extremisten leichtes Spiel. Die Trumps, Bolsonaros & Co. sind nicht etwa an die Macht gekommen, da ihre Bevölkerungen plötzlich ihre faschistoiden Neigungen entdeckt haben, sondern weil die meisten Parteien und Akteure aus dem demokratischen Spektrum versagt haben und weiter versagen. Und so vertrauen die Wählerinnen und Wähler die Zukunft ihrer Länder Personen an, die hierfür völlig ungeeignet sind. Und das gilt nicht nur für die USA und Brasilien, sondern auch für viele Länder in Europa…

Selten war das Konzept der Demokratie stärker gefährdet als heute. Pandemie, Krieg, Korruption, Umwelt-Verbrechen – die Liste ist lang und ebenso lang ist die Liste des Versagens der demokratisch gewählten Volksvertreter. Dieses Versagen führt zum immer lauter werdenden Ruf nach dem „starken Mann“, der Sehnsucht nach Ordnung und sozialer Stabilität, und das sind Dinge, die nur Extremisten versprechen (ohne diese Versprechen einlösen zu können). Und nun haben wir sie, die „starken Männer“. Die weit davon entfernt sind, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Bilder wie aus Washington und Brasilia wird man 2023 auch aus anderen Ländern und Hauptstädten sehen. Die sozialen Spannungen können nicht mehr durch vollmundige Versprechen bei salbungsvollen Neujahrsreden gelindert werden, auch in Europa werden Szenen wie in Brasilia immer wahrscheinlicher.

Wenn aber, wie in diesen Konfliktherden, aber auch in anderen, die nationalen Sicherheitskräfte auf die eigenen Landsleute schießen, dann ist das ein politischer Offenbarungseid derjenigen, die gerade an der Macht sind. Wer seine Polizei und Armee auf die eigenen Landsleute schießen lässt, der begibt sich auf die gleiche Stufe mit einem Lukaschenko oder anderen politischen Bösewichtern.

Ob Europa, die USA oder Brasilien, ob Russland, China oder Ukraine, ob Nord-Korea, Qatar oder Türkei – wir brauchen einen radikalen Neustart in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Blöd nur, dass diejenigen, die an all diesen Mißständen Schuld sind, auch diejenigen sind, die den Status Quo verändern könnten.

Nun gibt es bald nur noch zwei Optionen. Entweder reformiert sich der Machtapparat „von oben“ (was noch nie passiert ist), oder aber die aktuellen Systeme enden in einem Blutbad. Welchen der beiden Wege die Welt beschreiten wird, könnte sich 2023 entscheiden. Doch die Annahme, dass sich am Ende die Vernunft durchsetzen wird, ist nur ein frommer Wunsch. Denn wir leben inzwischen im Zeitalter des galoppierenden Wahnsinns.

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