Die Weltkrisen holen Europa ein – es ist Zeit für einen Wandel

Die „Schneckenhaus-Taktik“, die Deutschland, Dänemark, Ungarn und jetzt auch Österreich anwenden, hilft nichts - das Weltgeschehen schwappt nach Europa hinein.

Ein syrisches Flüchtlingsmädchen in Budapest. Und was wäre, wenn das Ihre Tochter wäre? Foto: Mstyslav Chernov / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0

(KL) – Abschottung, so war gestern in der österreichischen Presse zu lesen, fördert vor allem eines – das Geschäft krimineller Menschenschmuggler, die sich angesichts der Wiedereinführung von Grenzkontrollen an mehreren europäischen Grenzen die Hände reiben. Denn ein Blick auf die Landkarte genügt um festzustellen, dass die grünen Grenzen in Europa nicht dicht gemacht werden können – und Zehntausenden Flüchtlinge, die versuchen, in zivilisierter europäische Länder als Ungarn zu kommen, werden sich auch von Grenzkontrollen nicht stoppen lassen. Doch die Probleme liegen nicht primär an den europäischen Grenzen, sondern auch an der Politik, die Europa in der Welt führt. Und an der sich bis heute nichts geändert hat.

Dass Deutschland langsam die Puste ausgeht, was die Unterbringung von Hunderttausenden Flüchtlingen angeht, das versteht man. Alleine in München sind schließlich seit Beginn des Monats über 63.000 Flüchtlinge angekommen, was Bayern, aber auch die übrigen Länder vor große logistische Probleme stellt.

Klar ist auch, dass die Aufhebung des Schengen-Abkommens über die Reisefreizügigkeit innerhalb Europas der falsche Schritt ist, der nur denjenigen in die Karten spielt, die mit der Tragödie der Flüchtlinge entweder auf kriminelle Weise Geld verdienen oder versuchen, auf dem Rücken dieser Menschen ihr populistisches Süppchen zu kochen, wie beispielsweise der Spezi des von der serbischen Presse als „Faschist“ bezeichneten ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán, Horst Seehofer.

Mit der überraschenden Wiedereinführung von Grenzkontrollen am späten Sonntagnachmittag wollte die Bundesregierung die europäischen Partner unter Druck setzen, endlich einen Verteilungsschlüssel für die Flüchtlinge für alle 28 EU-Mitgliedsstaaten einzuführen. Doch ausgerechnet diejenigen Länder, die von ihrer Aufnahme in die EU mit am meisten profitiert haben, Ungarn, Polen, die Tschechische Republik und die Slowakei, stemmen sich nach wie vor gegen die Aufnahme von Flüchtlingen, aufgepeitscht von christlich-fundamentalistischen und rechtsextrem-nationalistischen Politikern, deren Fremdenhass in ihren Ländern offenbar auf fruchtbaren Boden fällt.

Was das nun das Ende des kurzen Sommers des „hellen Deutschlands“? Das gute Drittel der Bürgerinnen und Bürger des Landes, die mit ihrer überwältigen Hilfsbereitschaft in den letzten Wochen weltweit für Schlagzeilen gesorgt haben, ist perplex. Zieht sich Deutschland wieder in sein Schneckenhaus zurück, macht die Grenzen dicht und überlässt Zehntausende Menschen ihrem Schicksal?

Alleine in Österreich sitzen nun rund 15.000 Flüchtlinge fest und in Ungarn werden Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen in einer Art Konzentrationslager festgehalten, ohne medizinische Versorgung, ohne ausreichende Lebensmittel, so dass Amnesty International bereits die Alarmglocken geläutet hat.

Letztlich gibt es nur zwei Optionen – eine Neuorientierung Europas an humanistischen Werten, ein Europa, in dem Erbsenzählerei und das ständige Gejammer, wer das denn nun alles bezahlen soll, keinen Platz haben. Oder aber Europa entwickelt sich zurück zur Kleinstaaterei, einem Modell, das wir Jahrhunderte lang in Europa ausprobiert haben, was dazu führte, dass die Geschichte unseres Kontinents von blutigen Kriegen, Überfällen und Neid geprägt war.

Doch auch andere Konflikte erreichen unser beschauliches Europa, in dem es bislang nur um Wachstum, die 35-Stunden-Woche und die Frage ging, welches Auto man sich als nächstes zulegen soll. Der Konflikt um Kurdistan findet mittlerweile ebenso auf europäischen Straßen statt wie die Auseinandersetzung um die Ostukraine. Ob wir das nun wollen oder nicht.

Wenn Europa irgendwo politisch und finanziell eingreifen muss, dann in den Ländern, in denen diese Konflikte stattfinden. Und zwar ganz anders als bisher. Man löst den Krieg in Syrien nicht, indem man wie Deutschland und Frankreich munter tödliche Waffen an alle beteiligten Konfliktparteien liefert. Man löst die Pulverfässer in Afrika nicht dadurch, dass man weiter die Rohstoffe der afrikanischen Länder ausbeutet, ohne dafür zu sorgen, dass die Gewinne in Lebensumstände und gesellschaftliche Systeme investiert werden, die den Menschen ermöglichen, in ihren Heimatländern zu leben.

Der globalisierte Kapitalismus, der ein unerträgliches soziales Ungleichgewicht auf der Welt geschaffen hat, das selbst Papst Franziskus, dem man sicher keine kommunistischen Einstellungen unterstellen kann, anprangert, ist an seine Grenzen gestoßen. Nur ein klarer Richtungswechsel der Weltpolitik kann bewirken, dass sich tatsächlich etwas ändert. Doch die internationalen Organisationen wie die UNO sind zu zahnlosen Debattierclubs verkommen, die weder Willens noch in der Lage sind, Entscheidendes zu bewirken. Ein Grund mehr für Europa, sich darauf zu besinnen, was wirklich wichtig ist und entsprechend zu handeln. Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern inzwischen fünf nach zwölf.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste