Ein höchst seltsamer Wahlabend in Frankreich

Den ganzen Abend lang kommentierten die französischen Sender das „Ergebnis“ des ersten Wahlgangs der Präsidentschaftswahl. Dabei stand das Ergebnis noch überhaupt nicht fest.

So lange DIE nicht ausgezählt sind, ist es unseriös, "Ergebnisse" zu verkünden... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Was war das denn für ein Abend? Auf allen französischen Kanälen wurden „Ergebnisse“ verkündet, die gleichzeitig Prognosen und erste Hochrechnungen waren, sich aber im Laufe des Abends permanent änderten. Und zwar auf bedeutende Art und Weise. Sah die erste Prognose noch Emmanuel Macron bei 28,5 %, Marine Le Pen 23,5 % und Jean-Luc Mélenchon bei 20,1 %. Grund genug für alle Sender, das „Ergebnis“ zu verkünden und sofort mit der Analyse dieses „Ergebnisses“ mit zahlreichen Studiogästen zu beginnen. Doch zweieinhalb Stunden später sahen die Hochrechnungen anders aus – Macron lag bei 27,6 %, Marine Le Pen bei 23,0 % und Jean-Luc Mélenchon bei 22,2 %. Dabei waren zu diesem Zeitpunkt die Wahllokale in den großen Städten wie Paris, Marseille und Bordeaux noch überhaupt nicht ausgezählt. Doch in diesen Städten leben rund 20 % der französischen Wählerschaft und um 23:15 Uhr steht das Ergebnis noch lange nicht fest.

Die Medienberichterstattung dieses Wahlabends ist ebenso jämmerlich wie die ganze Kampagne. Da das Rennen um den zweiten Platz und damit den Einzug in die Stichwahl zu dieser Zeit noch alles andere als entschieden ist, können wir das Endergebnis erst morgen im Laufe des Tages nachreichen, sobald es wirklich feststeht.

Ein solcher Wahlabend wäre in Deutschland nicht möglich gewesen, dazu weiß man viel zu gut, dass am Ende ein paar Dutzend Stimmen einen riesigen Unterschied ausmachen können. So wusste man gestern Abend nicht, wieviele Wahlkreise noch auszuzählen waren, welche Ergebnisse unverrückbar feststehen, doch das hielt die zahllosen Vertreter der Parteien nicht davon ab, komplette Analysen abzugeben, zu einem Zeitpunkt, zu dem lediglich 0,8 % zwischen Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon lagen.

Trotz des noch offenen Ausgangs des ersten Wahlgangs kann man bereits erste Schlüsse ziehen. So sist auf der Zielgraden sowohl dem ultrarechtsextremen Eric Zemmour (rund 7 %) und der konservativen Kandidatin Valérie Pécresse (4,8 %) die Luft ausgegangen. Während der Kampagne lagen beide deutlich höher in den Umfragen und speziell das katastrophale Abschneiden der konservativen Kandidatin lässt aufhorchen. Nach der wohl schlechtesten Kampagne, die je ein konservativer Kandidat bei einer solchen Wahl abgeliefert hat, rutschen die „Les Républicains“ unter die 5 %-Hürde, die man in Frankreich übertreffen muss, damit die Wahlkampfkosten erstattet werden. Da die Sozialistin Anne Hidalgo unter 2 % bleibt, könnte es gut passieren, dass beide ehemaligen Volksparteien, die sich in Frankreich seit 40 Jahren die Macht geteilt hatten, implodieren. Mit Hidalgo und Pécresse haben beide Parteien allerdings auch die schlechtestmöglichen Kandidatinnen ins Rennen geschickt. Die V. Französische Republik ist am Ende, die beiden Parteien, die sich in diesen Jahrzehnten die Macht geteilt haben, sind aus der Zeit gefallen, unfähig sich zu erneuern, unfähig die Stimmung im Land zu verstehen und folglich unfähig, die richtige Ansprache der Wählerschaft zu finden. Frei nach Darwin sind beide Parteien, PS und LR, akut vom Aussterben bedroht, denn – „only the fittest survive“.

Was danach kommt, ist ungewiss. Macron gegen wen? Gegen Marine Le Pen? Gegen Jean-Luc Mélenchon? Und wie wird das im Juni zu wählende Parlament aussehen? Wird es noch Wähler und Wählerinnen geben, die ihre Stimme den beiden Auslaufmodellen LR und PS geben?

Ein seltsames Ende für einen Wahlabend – wir haben kein Ergebnis. Fest steht nur, dass Emmanuel Macron in der Stichwahl sein wird. Mag sein, dass all die Wahlverlierer, die noch vor dem Endergebnis ihre „Wahlempfehlungen“ in die Mikrophone plapperte, die ohnehin niemanden mehr interessieren, sich eine weitere Peinlichkeit geleistet haben, denn sollte in der Nacht Jean-Luc Mélenchon noch Marine le Pen überholen, dann werden sie den ganzen Abend lang Blödsinn geredet haben.

So oder so, Frankreich steuert auf ganz schwere Zeiten vor. Die Gesellschaft ist tief gespalten, das politische Establishment der V. Republik wird gerade von einem Sturm der Geschichte weggefegt. Und vielleicht sollten sich die französischen TV-Sender ein anderes Format für ihre Wahlberichterstattung überlegen, denn sollte Mélenchon doch noch auf Platz 2 kommen, hätten sich die nationalen Medien ebenso lächerlich gemacht wie die politischen Kommentatoren. Die „echten“ Ergebnisse plus Analyse lesen Sie morgen im Laufe des Tages auf eurojournalist(e)…

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