Ein Jahr Krieg

Heute vor einem Jahr überfiel Russland sein Nachbarland Ukraine. Seitdem ist die Welt völlig aus den Fugen geraten und wir alle sind dabei, moralisch zu verrohen.

Krieg, das sind keine strahlenden Heldengeschichten, sondern angsterfülltes Verrecken im Drecck wie in Mariupol. Foto: Mvs.gov.ua / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Der russische Einmarsch in der Ukraine hat die Welt in einem Jahr verändert. Gleichgewichte, die wir Jahrzehnte lang als selbstverständlich betrachtet haben, wackeln bedrohlich. Das Denken und die Sprache haben sich verändert. Und Wege aus dem III. Weltkrieg heraus werden weder gesucht, noch diskutiert. Die Zeiten werden von „Heldengeschichten“ geprägt und „Werte“ sind nichts mehr wert. Der geäußerte Wunsch nach Frieden wird heute als Feigheit weggewischt und ehemalige Friedensaktivisten beten Panzer- und Haubitzen-Typen im Fernsehen herunter. Hunderttausende Tote und in nur einem Jahr angerichtete Zerstörungen in Höhe von 1,6 Billionen Euro scheinen kein Grund zu sein, ernsthaft nach Frieden zu streben. Stattdessen arbeiten alle in Ost und West an einer ständigen Eskalation dieses Krieges, der noch sehr lange dauern wird.

Menschlichkeit und Wahrheit waren die ersten Dinge, die seit dem 24. Februar 2022 verloren gingen, wie es in jedem Krieg der Fall ist. Täglich lesen und sehen wir die Kriegspropaganda aus Ost und West und die Entwicklung zeigt, dass alle „Jubelmeldungen“ über angebliche Erfolge Lügen sind, mit denen die Welt manipuliert wird, um die militärischen und finanziellen Mittel bereitzustellen, diesen Krieg mit all seiner Grausamkeit weiterzuführen.

Kriegsparteien sind inzwischen alle, die sich aktiv an diesem Krieg beteiligen, mit Geld, Material und Personal. Das gilt ebenso im Osten wie im Westen. Eine Hälfte der Welt steht hinter Russland, darunter so mächtige Länder wie der BRICS-Verbund (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), der ein gutes Drittel der Weltbevölkerung umfasst und, gemeinsam mit anderen Ländern, mit Russland kooperiert, während die andere Hälfte hinter der Ukraine steht und diese mit Geld, Waffen und Logistik versorgt.

Kriege basieren, das zeigt die Geschichte, immer auf Lügen. So hat der Westen Sanktionen gegen Russland verhängt, die vom Westen selbst schlau umgangen werden, um weiterhin Geschäfte mit Putin-Russland machen zu können. Dass wir im Westen den Krieg für Russland UND die Ukraine finanzieren, scheint niemanden zu stören.

Doch nicht nur die Landkarte verändert sich, auch wir selbst sind nach dem ersten Kriegsjahr nicht mehr dieselben. Heute freuen wir uns über Rakentenangriffe, die auf einen Schlag 500 junge russische Menschenleben auslöschen. Und in Russland freuen sich die Menschen, wenn wieder die Bevölkerung eines kleinen ukrainischen Dorfs ausgelöscht wurde. Aber wie kann man sich nur freuen, wenn junge Menschen, die noch ihr ganzes Leben vor sich hatten, getötet werden?

Um es deutlich zu sagen – diejenigen im Osten, die sagen, dass Russland seine Ziele (die noch nie deutlich formuliert wurden) in diesem Jahr erreichen wird, lügen ebenso wie diejenigen, die im Westen vollmundig ankündigen, dass die Russen noch in diesem Jahr aus dem Donbass und der Krim vertrieben sein werden. Während solche Erfolgsparolen gebrüllt werden, wird immer deutlicher, dass dieser Krieg nicht nur sehr lange dauern wird, sondern auch weiter eskalieren wird. Und dass dieser Krieg am Ende nicht nur unvorstellbare Verwüstungen in Zentraleuropa verursacht, sondern auch den Rest der Welt nachhaltig erschüttert haben wird.

Der soziale Frieden im Westen ist gefährdet, neue Hungersnöte in Afrika brechen aus, die Weltwirtschaft kann die Kriegsfolgen nicht stemmen und viele Menschen glauben inzwischen der Propaganda, dass die Zerstörung der Welt und der III. Weltkrieg „alternativlos“ seien. Aber keine Sorge, wie bei den Weltkriegen I und II gibt es auch dieses Mal Interessensgruppen, die von diesem Krieg stark profitieren.

Europa zeigt sich in diesem Drama so, wie es sich in allen Weltkrisen zeigt – zerstritten und ineffizient. Dabei geht dieser Krieg Europa so stark an, wie kaum ein Krieg der letzten Jahrzehnte. Doch schafft es die EU noch nicht einmal, eine gemeinsame Position zu den Geschehnissen zu entwickeln – bis auf dümmliche Siegesparolen kommen aus Brüssel auch keine sinnvollen Beiträge.

Mehrere Friedenspläne wurden in diesem Jahr auf den Tisch gelegt und keine der Kriegsparteien verspürte das Verlangen, über diese Pläne alleine nur nachzudenken und zu sprechen. Stattdessen hat sich der Westen darauf verständigt, sich voll und ganz dem Heldenepos um Wolodomyr Zelensky hinzugeben, während der Osten wie ein Mann hinter seinem Helden Putin steht. Das Bedürfnis, „Helden“ an der Spitze von Ländern zu sehen, mag daher rühren, dass wir uns daran gewöhnt haben, dass unsere Regierungen von korrupten Verwaltern und nicht von visionären Politikern geführt werden – da vermitteln unrasierte Helden in olivgrünen T-Shirts ein deutlich spannenderes Bild. Doch diese Bilder kosten Hunderttausende Menschen das Leben, Millionen Menschen die Lebensumstände und selbst, wenn die Kämpfe heute enden würden, wird es wieder Jahrzehnte dauern, die bereits entstandenen Traumata zu bewältigen.

Heute geht es vor allem darum, der zahllosen Opfer dieses Kriegs zu gedenken. Gewinnen wird diesen Krieg niemand. Verlieren werden wir ihn alle.

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