Ein neues Demokratiemodell. Sieht so „liquid democracy“ aus?

In Frankreich hat die zivilgesellschaftliche Vorwahl für die Präsidentschaftswahlen 2017 begonnen. Außerhalb der verkrusteten Parteiapparate. Entsteht hier gerade das Demokratieverständnis der nächsten Generation?

Mit dieser "Medizin" könnte die grassierende Demokratie-Müdigkeit überwunden werden... Foto: Democratech / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – In Frankreich traut kaum noch jemand Politikern über den Weg. Angesichts nicht enden wollender Skandale und Skandälchen haben immer mehr Menschen das Gefühl, „dass die eh alle korrupt“ sind und die Vielzahl einschlägiger Verfahren gegen Politiker kann dieses Gefühl kaum entkräften. Die gerade gestartete zivilgesellschaftliche Initiative „LaPrimaire.org“, bei der ein Kandidat (oder eine Kandidatin) aus der Zivilgesellschaft für die Präsidentschaftswahlen 2017 bestimmt werden soll, könnte ein Ansatz für die Weiterentwicklung der Demokratie sein.

Über 70.000 Personen haben sich auf der Site von „LaPrimaire.org“ registrieren lassen und nehmen an dieser Kandidatenkür der etwas anderen Art teil. Eine Anzahl, die sich manche politische Partei als Mitglieder wünschen würde. Doch die traditionellen Parteien ziehen niemanden mehr an – sie verlieren ständig Mitglieder. Im Gegensatz zu „LaPrimaire.org“, deren ausgeklügeltes Wahlverfahren ebenso interessant ist wie die ganze Initiative.

So muss man sich zunächst als Wähler oder Wählerin registrieren lassen. Zur Überprüfung der Identität wird erst ein Link auf die angegebene Email-Adresse geschickt und während der Anmeldeprozedur erhält man noch per SMS einen Authentifizierungs-Code. Erst nach diesem Doppelcheck kann man dann wählen.

Von den 16 Kandidaten und Kandidatinnen werden jedem Wähler 5 Kandidaten per Zufallsgenerator zugelost. Deren Profile sind in einheitlichem Format übersichtlich dargestellt und mit nur einem Klick gelangt man zum Programm des jeweiligen Kandidaten, zu Angaben zu seiner Person, zu seinen prioritären Aktionen. Innerhalb weniger Minuten weiß man, wofür die 5 Kandidaten im eigenen Abstimmungspaket stehen. Dann bewertet man einzeln jeden der 5 Kandidaten mit Noten von 5 („sehr geeignet“) bis 1 („nicht geeignet“). Am Ende des ersten Wahlgangs Anfang November werden dann die Noten aller Kandidaten ausgezählt und die 5 Bewerber, die am meisten Punkte sammeln konnten, erreichen die zweite Runde, die Stichwahl.

Durch dieses System werden gleich mehrere Dinge sichergestellt. Zum einen garantiert dieses System, dass alle Kandidaten von der gleichen Anzahl Wählerinnen und Wähler beurteilt werden. Und das System verhindert, dass Kandidaten deshalb mehr Stimmen erhalten, weil sie mehr Personen in ihrem eigenen Bekanntenkreis aktivieren können.

Man darf sehr gespannt auf den Kandidaten oder die Kandidatin sein, der oder die am Ende die Zivilgesellschaft bei den Wahlen vertreten wird. Immerhin zeigte eine Umfrage, dass sich 2/3 der Franzosen vorstellen können, von einem Präsidenten regiert zu werden, der nicht aus einer politischen Partei kommt. Die Dynamik, die „LaPrimaire.org“ in die politische Debatte bringt, dürfte bei den Machern in den Hauptquartieren der Parteien kalten Schweiß auf die Stirn treiben…

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste