Ein neues Gesetz gegen Rassismus und Antisemitismus?

Dass Justizministerin Christiane Taubira auf Gesetzesebene agieren will, zeigt guten Willen, aber eben auch viel Hilflosigkeit. Foto: Ericwaltr / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Kann man Rassismus und Antisemitismus durch Gesetzesverschärfungen bekämpfen? Das ist zumindest das, was die französische Justizministerin Christiane Taubira vorhat. Sie kündigte dieses Vorhaben in der Fragestunde des französischen Parlaments an, nachdem sie der Straßburger Abgeordnete Armand Jung (PS) hierzu befragt hatte.

Außerdem beabsichtigt die „Siegelverwahrerin“ (was für eine schöne Bezeichnung für einen Justizminister!), künftig Sammelklagen für derart motivierte Delikte und/oder Verbrechen zuzulassen. Doch so gut dieses Vorhaben auch gemeint ist, so sehr geht es an der eigentlichen Problematik vorbei. Denn Rassismus und Antisemitismus lassen sich (leider) nicht per Gesetz verbieten – es handelt sich um tief in der Gesellschaft verwurzelte Probleme, die auf gesellschaftlicher und nicht auf juristischer Ebene gelöst werden müssen.

Ebenfalls geplant ist eine „Plattform für Opfer“, doch ist unklar, wie diese aussehen und welche genaue Funktion sie haben soll. Was allerdings fehlt, ist eine landesweite Auseinandersetzung mit dem generellen Thema der Radikalisierung ganzer Bevölkerungsschichten, wie sie bislang nur die Stadt Straßburg im Rahmen ihrer „Bürgerkonferenzen“ angegangen ist. Eine solche Auseinandersetzung müsste in ganz Frankreich stattfinden, doch ist Frankreich nach „Charlie“ wieder zur Tagesordnung übergegangen.

Das Phänomen der Radikalisierung perspektivloser Gesellschaftsschichten ist wesentlich umfangreicher, als man das bisher angenommen hat. Dabei darf man nicht nur radikalisierte junge Moslems aus den tristen Vorstädten berücksichtigen – die „Radikalisierung“ betrifft ebenso das politische Establishment, wo mittlerweile der rechtsextreme Front National in allen Umfragen vorne liegt. Auch hier findet eine Radikalisierung statt, eine Radikalisierung der Positionen, der Aussagen und auch der Übergriffe, beispielsweise auf Medienvertreter.

Nach den Attentaten von Paris, aber auch nach dem Aufkeimen von Phänomenen wie der „Pegida“ in Deutschland, kann und darf man nicht so weitermachen, als wäre nichts geschehen. Eine Gesetzesverschärfung ist zwar der Versuch, die Bestrafung solcher Anschläge schärfer zu gestalten, was sicher kein Fehler ist, doch werden schärfere Gesetze niemanden davon abhalten, rassistisches und antisemitisches Gedankengut zu pflegen und zu verbreiten. Die Wurzel des Übels liegt weitaus tiefer als das, was man gesetzlich steuern kann.

Die französische Gesellschaft steht an einer Wegkreuzung. Entweder driftet das Land in eine Art dumpfen Nationalismus ab, der sowohl die Rolle Frankreichs als auch die gesellschaftliche Kohäsion des Landes ernsthaft gefährdet, oder aber Frankreich schafft es, seine Gesellschaft neu zu definieren und zu organisieren. Das Bedenkliche an dieser Situation ist, dass der Weg hin zum dumpfen Nationalismus wesentlich einfacher zu gehen ist als der schwere und lange Weg, eine Gesellschaft neu zu definieren.

Armand Jung forderte im französischen Parlament eine pädagogische Strategie, mit der die Strömungen, die Frankreich gefährden, bekämpft werden sollen. Das klingt gut, ist gut gedacht, aber leider fürs erste absolut nichtssagend. Angesichts der Probleme sind jetzt keine Allgemeinplätze, sondern konkrete Projekt, Ideen und Programme erforderlich. Nur so kann Frankreich verhindern, in die Fänge der Volksverführer und Brunnenvergifter zu geraten, die jetzt bereits in den Umfragen vorne liegen. Frankreich hat nicht mehr viel Zeit, den richtigen Weg hin zu einer VI. Republik zu finden, die auf ein besseres Zusammenleben in der Gesellschaft ausgerichtet sein muss.

2 Kommentare zu Ein neues Gesetz gegen Rassismus und Antisemitismus?

  1. Durch ein neues Gesetz kann man das Übel nicht an der Wurzel fassen, da haben Sie Recht, aber es ist ein deutliches Signal, auf welche gesellschaftlichen und kulturellen Werte der französische Staat sein Gewicht legt. Ähnliches würde ich mir von politischen Verantwortlichen in Deutschland auch wünschen. – Nach über 20 Jahren Mitgliedschaft im Verband Bianationaler weiß ich, wie schwer sich in den Köpfen der Menschen etwas verändert und Vorurteile bekämpft werden können… Mit dem so genannten „Rucksackprojekt“ wird schon bei den ganz Kleinen (+ Eltern) angefangen, das interkulturelle Zusammenleben und Verständnis für- und miteinander zu fördern. Sicher gibt es ähnliche Initiativen in Frankreich. Ich wünsche viel Erfolg und Durchhaltevermögen bei der Umsetzung – es lohnt sich!

    http://www.stadtteilarbeit.de/themen/migrantinnenstadtteil/familienbildung-sprachfoerderung/190-raa-rucksack.html

    https://de-de.facebook.com/VerbandBinationalerNRW/notes

    • Lucia, Sie haben völlig Recht. Die Initiative von Frau Taubira ist lobenswert und wichtig, aber eben noch lange nicht ausreichend. Die Betroffenheit der Menschen nach “Charlie” (4 Millionen Franzosen und Hunderttausende Europäer waren auf der Straße!) ebbt ab und man geht zu einer unguten “Normalität” über und wartet eben auf die nächsten Horrormeldungen. Was mit auf breiter Ebene fehlt, ist eine Anstrengung, wie sie gerade von der Stadt Straßburg geleistet wird – ein systematischer Dialog zwischen allen Bevölkerungsschichten, offen, kritisch und mit der Perspektive, gesellschaftliche Fehlentwicklungen der letzten 40 Jahre zu korrigieren. Da kommt den Entwurf von Frau Taubira als ein kleines Element positiv dazu, andere müssen sich jetzt noch viel mehr ins Zeug hängen! Beste Grüße – Kai Littmann

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