Ein Orden für Mutti

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das „Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausführung“ erhalten. Und schon wird wieder gemeckert.

Den darf sich Mutti ab soforrt ans Revers heften. Und das hat sie verdient... Foto: LukGasz / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Das „Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausführung“ ist eine extrem selten verliehene Auszeichnung für besondere Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland. Vor Angela Merkel haben nur zwei Personen diese Auszeichnung erhalten, die früheren Bundeskanzler Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Doch hat nun die Verleihung dieser Auszeichnung an Angela Merkel viele ätzende  Kommentare ausgelöst, die von den Fehlern Angela Merkels sprachen, vom „falschen Zeitpunkt für die richtige Auszeichnung“ und vielem mehr. Doch diejenigen, die heute ihre Fehler kritisieren, haben offenbar ein schlechtes Geschichtsgedächtnis. Und dass ausgerechnet wir eine solche Ehrung für eine von uns mehr als ein Jahrzehnt lang kritisierte Politikerin verteidigen müssen, ist schon seltsam.

Aber was wirft man Angela Merkel heute in der historischen Rückbetrachtung vor? Vor allem zwei Dinge tauchen immer wieder in den Diskussionen auf – die Abhängigkeit von russischen Energieträgern und ihre Haltung während der Flüchtlingskrise 2015, als Angela Merkel an einem Augustwochenende die Grenze bei Passau öffnete und Tausende Syrer und Afghanen nach Deutschland ließ. Es ist schon fast tragisch, dass ihr heute diese Entscheidungen angekreidet werden.

Es stimmt, Deutschland hat sich unter Angela Merkel in eine Abhängigkeit von russischen Energieträgern begeben. Doch das war damals die Doktrin des Westens – „Frieden sichern durch intensive Handelsbeziehungen“. Dies galt übrigens nicht nur für Deutschland und Russland, sondern für den gesamten Westen, der noch nie ein Problem damit hatte, mit Diktatoren und anderen Schurken der Weltgeschichte Geschäfte zu machen, man denke nur an Saddam Hussein oder Muammar Ghadafi. Die Geschäftsbeziehungen des Westens mit solchen Menschen enden in der Regel erst dann, wenn sich die jeweiligen Völker ihrer Despoten entledigt haben. Bis dahin versuchen alle, Geschäfte zu machen.

Dass die Beziehungen zu Russland an den Plänen des dortigen Despoten gescheitert sind, ein neues großrussisches Reich aufzubauen und hierzu als erstes sein Nachbarland zu überfallen, war bis 2014 nicht vorhersehbar. Dass der Versuch, Krieg durch Handesbeziehungen zu vermeiden gescheitert ist, kann man nur schwer Angela Merkel anlasten.

Der zweite Vorwurf, den man hört, war die Entscheidung 2015, die Grenzen für Flüchtinge aus Syrien und Afghanistan zu öffnen. Während ihr die einen vorwerfen, sie habe das getan, um Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt anzuwerben ist ebenso falsch wie die Behauptung, sie habe das deutsche Volk „verwässern“ wollen. Fakt ist, dass an diesem Augustwochenende 2015 rund 15.000 Menschen auf einer Brücke bei Passau standen, die Österreicher diese Menschen nicht wieder zurück nach Österreich lassen wollten und Deutschland diese Flüchtlinge nicht aufnehmen wollte. Bei großer Hitze dehydrierten viele Menschen auf dieser Brücke, es war Wochenende und es gab keine Zeit für Abstimmungen mit den europäischen Partnern und Angela Merkel traf die wohl emotionalste Entscheidung ihrer 16jährigen Amtszeit – sie öffnete die Grenze. Dass dabei Fehler passierten, beispielweise durch eine fehlende Registrierung der Flüchtlinge, ist eine Sache. Die andere Sache ist, dass Angela Merkel den Deutschen damals ermöglichte, der Welt zu zeigen, dass Deutschland nicht mehr das Deutschland des letzten Jahrhunderts ist – zeitweise engagierte sich ein Viertel der Bundesbevölkerung in allen möglichen Initiativen, um die Aufnahme und Integration von insgesamt rund 1,5 Millionen Flüchtlingen zu unterstützen. Und das war ein Highlight in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik.

Dass sich vieles der deutschen Ostpolitik unter Angela Merkel als nicht erfolgreich herausgestellt hat, das weiß man heute. Dass auch ein anderer früherer Bundeskanzler, Gerhard Schröder, dem gleichen Irrtum aufgesessen ist, weiß man heute ebenfalls. Und das gilt auch für praktisch alle anderen westlichen Spitzenpolitiker, von denen keiner nach 2014 und der völkerrechtswidrigen Annektierung der Krim durch Russland die Handelsbeziehungen zu Putin eingestellt hätte. Aber warum wirft man das heute Angela Merkel, nicht aber den anderen westlichen Führern vor?

Das „Angela Merkel-Bashing“ ist eindeutig zu kurz gesprungen und wird den 16 Jahren der Regierung Merkel nicht gerecht. Als Konservative hat sie Deutschland stärker modernisiert als viele „linke“ Politiker vor ihr, sie traf nach dem GAU in Fukushima die mutige Entscheidung zum Atomausstieg, sie ging respektvoll mit Minderheiten und Andersdenkenden um, sie war ein ausgleichendes Element und „hielt den Laden zusammen“.

Will wirklich jemand bezweifeln, dass Angela Merkel, die erste Frau an der Spitze einer bundesdeutschen Regierung, in 16 Jahren große Verdienste um das Land erworben hat? Dass sie in 16 Jahren auch viele Fehler gemacht hat, ist klar. Wer von uns hat in den letzten 16 Jahren keine Fehler gemacht, keine Situationen falsch analysiert?

Herzlichen Glückwunsch zum „Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausführung“, Angela Merkel, Sie haben diese Auszeichnung verdient! Und das sagt Ihnen ein kleines deutsch-französisches Medium, dass sie in all den Jahren oft und heftig kritisiert hat, wenn die Situation das erforderte…

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