Ein Phantom geistert durch Europa

Hat Europa seine besten Tage hinter sich? Nach Jahren des Fortschritts und der Hoffnungen hat man den Eindruck, dass wir langsam in den Abgrund rutschen. Unaufhaltsam…

Ein Phantom geistert durch Europa - un spectre hante l'Europe... Foto: LLL / Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Fast freut man sich, dass viele Vertreter der internationalen Politik gerade ein wenig Urlaub machen. Denn das, was die Hohe Politik seit einiger Zeit abliefert, ist haarsträubend. Während die europäischen Länder und die europäischen Institutionen immer weiter in Richtung Neonationalismus abdriften, bereiten die Supermächte in anderen Regionen der Welt die nächsten großen Konflikte vor. Und weil gerade so vieles nicht so toll läuft, bekommt kaum einer mit, wie wir Schritt für Schritt die individuellen Rechte abbauen und die Welt in einen globalen Überwachungsstaat verwandeln, den sich nicht einmal ein George Orwell oder Aldous Huxley vorgestellt hätten.

Das Phantom, das durch Europa geistert, ist der Geist des letzten Jahrhunderts. Es ist der Geist der Ausgrenzung, der Gewalt auf der Straße, der Verrohung der Sprache, der Perspektivlosigkeit. Und dieser Geist führt zu den Übergriffen, die inzwischen täglich in Europa stattfinden. In einem Land werden farbige Mitmenschen zu Tode geprügelt, in anderen Ländern kommt es zu Angriffen auf die LGBT-Bewegung, wieder anderswo werden Neonazi-Waffenlager ausgehoben. Wir erleben „politische Morde“, Terror aus den unterschiedlichsten Motivationen, den Abbau der Demokratie, die Allmacht des großen Kapitals. Und als ob wir nichts dazugelernt hätten, die die vorgeschlagene Antwort auf all diese Krisen der Ruf nach dem „starken Mann“. Doch wohin die Fixierung auf einen „politischen Übervater“ führt, das haben Deutschland und die Welt im letzten Jahrhundert mehr als schmerzhaft erfahren. Was uns aber heute nicht davon abhält, wieder nach diesem „starken Mann“ zu rufen und unsere Länder per demokratischen Wahlen in die Hände von extremistischen Brandstiftern zu legen.

Dieser Neonationalismus hat uns zuletzt alles beschert, was einen an Europa verzweifeln lassen könnte: Kurz, Salvini, Le Pen, Wilders, Höcke, Orban, Zeeman, May und Johnson, Kaczinsky und wie sie alle heißen, stehen für das neue, hässliche Europa, das Europa, in dem kein Platz für Fremde und Arme ist, das Europa, in dem man gerne reich ist und vor allem nicht teilen möchte, das Europa, das keine anderen Meinungen außer der eigenen duldet, das Europa, das lieber mit Verbrecherbanden den gemeinschaftlichen Mord an den Schwächsten der Schwachen organisiert, als sich an die früheren humanistischen Werte zu erinnern.

Und dennoch wählen wir immer wieder für die ewig Gleichen, die uns das Blaue vom Himmel herunter versprechen, aber trotzdem nur ein Ziel verfolgen – persönliche Macht und Privilegien. Um die Entwicklung hin zu einer Wiederholung des Horrors des letzten Jahrhunderts zu verhindern, wird es nun langsam knapp. Das konsequente Ignorieren des Bürgerwillens, der sich immer lauter zu Themen wie Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit manifestiert, ist seitens der Mächtigen dieser Welt ein Fehler und geradezu ein Aufruf zur Rebellion. Erste Ausbrüche hiervon hat Frankreich gerade mit der „Gelbwesten-Bewegung“ erlebt, die nur deshalb nicht zu einem mächtigen Akteur der französischen Politik wurde, weil es dieser Bewegung an Intelligenz und Struktur fehlte. Doch dort, wo die „Gelbwesten“ an ihrer Koketterie und ihrem Mangel an Organisation gescheitert sind, werden künftige soziale Bewegungen schlauer vorgehen und entweder strukturieren die Mächtigen die Gesellschaften intelligent um, oder aber sie werden früher oder später vom Hof gejagt werden. Dann allerdings ohne „goldenen Fallschirm“.

Man sollte die Sommerpause zum Nachdenken nutzen und speziell in den Sphären der Macht sollte man sich neue Dinge einfallen lassen, die es ermöglichen einen Wandel hin zu einer gerechteren Gesellschaft zu vollziehen, bevor die Macht der Gewalt der Straße weichen muss. Das ist alles schon einmal dagewesen und wollen wir verhindern, dass sich der Horror der Vergangenheit wiederholt, müssen wir handeln. Jetzt. Sofort.

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