Ein politisches Erdbeben in Frankreich

Kein Vertreter der bürgerlichen Parteien hat es in die Stichwahl um das höchste französische Staatsamt geschafft. Das ist die Götterdämmerung der V. Republik.

Frankreich hat ein politisches Erdbeben erlebt. Foto: Eurojournalist(e)

(KL) – Es ist mehr als ein Wahlergebnis, es ist ein Zeichen der Zeit. Wie bereits zuletzt in Österreich, sind auch in Frankreich die Vertreter des bürgerlichen Lagers im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl gescheitert. Am 7. Mai stehen sich nun der Kandidat Emmanuel Macron („En Marche“) und die rechtsextreme Marine Le Pen gegenüber. Das Ergebnis dieses ersten Wahlgangs lädt zu einer grundsätzlichen Überlegung darüber ein, wie politische Systeme im 21. Jahrhundert aussehen sollten. Und die allererste Erkenntnis lautet: Die traditionellen Volksparteien haben ausgedient. Für die Franzosen heißt es nun, zähneknirschend den Kandidaten Macron zu unterstützen, um die Rechtsextreme Le Pen zu verhindern.

Unmittelbar nach Bekanntwerden des Ergebnisses begann das, was man in Frankreich den „sursaut républicain“ nennt, das republikanische Aufbegehren gehen die Rechtsextremen des Front National, die generell nicht als politischer Gegner, sondern als „Feinde der Republik“ betrachtet werden, wie es der Kandidat der Regierungspartei PS Benoît Hamon ausdrückte, um nicht nur seine unglaubliche Niederlage einzuräumen (6,5 % der Stimmen für den Kandidaten der Regierungspartei, das ist schon sehr hart…), sondern auch um aufzurufen, im zweiten Wahlgang für Emmanuel Macron zu stimmen. „Sursaut républicain“, das ist, wenn man im zweiten Wahlgang alle Kräfte mobilisiert, um rechtsextreme Kandidaten von der Macht fernzuhalten. Das begann 2002, als der Vater von Marine Le Pen, Parteigründer Jean-Marie Le Pen („Die Gaskammern sind ein Detail der Geschichte“) in die Stichwahl gegen Jacques Chirac kam, und seitdem bei so ziemlich jeder Wahl, wenn der Front National Kandidaten in Machtnähe rücken konnte.

Am 7. Mai wird der „sursaut républicain“ wieder funktionieren und die Franzosen werden Emmanuel Macron mit großer Mehrheit zum Präsidenten wählen und damit das Risiko einer rein marktorientierten, ultraliberalen Politik eingehen, die in der Regel von den sozial Schwächsten zu tragen ist. Egal, alles, nur nicht Marine Le Pen.

Das Leitmotiv „alles, nur nicht Marine Le Pen“ einte innerhalb weniger Stunden Politiker, die sich nur wenige Stunden zuvor noch erbitterte Schlammschlachten geliefert hatten – sowohl François Fillon, der Kandidat der Konservativen, der zwei Prozent hinter Marine Le Pen als Dritter die Stichwahl knapp verpasste, als auch Alain Juppé, erbitterter innerparteilicher Gegner Fillons und in der Stichwahl der Vorwahlen der Konservativen nur knapp unterlegen, alle riefen auf, für Emmanuel Macron zu stimmen, der mit 24 % der Stimmen als Sieger des ersten Wahlgangs ins Ziel kam.

Doch das ist noch lange nicht alles. Bei dieser Wahl implodierte die Regierungspartei PS, zerfressen an der Frage der reinen Lehre zwischen dem linksextremen Jean-Luc Mélenchon (der, man muss es zugeben, einen außergewöhnlich guten Wahlkampf führte und nur Zehntel hinter Fillon Vierter wurde) und dem Sozialisten Benoît Hamon – hätten sich beide auf einen gemeinsamen, „linken“ Kandidaten einigen können, hätte dieser die Vorwahl gewinnen können. Stattdessen hat sich Frankreichs Linke selbst ins Abseits katapultiert – wobei weder der Verrat der Parteigranden der PS (von denen etliche Hamon im Stich ließen und zu Macron überliefen), noch der lokalen Größen für die PS hilfreich war.

Im Juni bereits finden die Parlamentswahlen statt und die Frage, mit was für einer Regierung der Präsident Macron zusammenarbeiten muss, ist von entscheidender Bedeutung. Nur – wie will sich das bürgerliche Lager nach dieser historischen Niederlage in so kurzer Zeit neu erfinden? Wie kann sich Frankreichs Linke neu erfinden und wenn man genau hinschaut, gilt dieses ebenso für die Konservativen „Les Républicains“. Sollten beide Traditionsparteien die schlechte Idee haben, mit dem Personal bei den Parlamentswahlen anzutreten, mit dem sie gerade im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl abgestraft wurden, dann könnten die Rechtsextremen doch noch in der französischen Politik ein gewichtiges Wort mitreden.

Für die PS und die „Les Républicains“ geht es in den kommenden Wochen nicht nur darum, mit vereinten Kräften eine Präsidentin Marine Le Pen zu verhindern, sondern ganz generell um das politische Überleben. Und das ist für beide ehemaligen Volksparteien alles andere als gesichert.

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