Ein Prozess, der alte Wunden aufreißt

In Paris hat der Prozess gegen den einzig überlebenden Terroristen des mörderischen Anschlags 2015 im Bataclan und an anderen Orten Paris und seine Helfer begonnen. Frankreich erlebt das Trauma erneut.

Paris am Tag nach den Attentaten 2015. Frankreich durchlebt das Trauma nun ein zweites Mal. Foto: Maya-Anaïs Yataghène from Paris, France / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Es gibt Prozesse, die sind hochgradig traumatisierend. Ein solcher hat nun in Paris begonnen, um die mörderischen Anschläge vom November 2015 in Paris juristisch aufzuarbeiten. Mehrere Kommandos des „Islamischen Staats“ hatten fast zeitgleich Anschläge auf mehrere Straßencafés, auf das Fußballspiel Frankreich gegen Deutschland und die Veranstaltungshalle „Bataclan“ verübt. 130 Menschen wurden getötet, 350 verletzt und ganz Frankreich wurde im Herzen seiner Lebensart getroffen. Auf der Anklagebank sitzt der wohl feigste Terrorist, den der „IS“ aufbieten konnte, Salah Abdeslam, der einzige der Terroristen, der sich am Ende doch nicht traute, seinen Sprengstoffgürtel auszulösen, zusammen mit seinen Helfern, die den Terroristen die für ihr kriminelles Vorhaben notwendige Logistik bereitstellten. Der Prozess wird geschätzt 9 Monaten dauern und in diesen 9 Monaten wird Frankreich das Trauma vom November 2015 erneut durchleben und dabei entsetzliche Einzelheiten erfahren, die der Öffentlichkeit bisher erspart geblieben waren.

Der feige Terrorist Salah Abdeslam nutzt diese Plattform auch gleich wieder, um eine geradezu jämmerliche Eigenwerbung zu veranstalten, als er sich zum Prozessauftakt als „Soldat des Islamischen Staats“ bezeichnet, und sich darüber beklagt, dass er in der Haft seit sechs Jahren „wie ein Hund behandelt“ würde. Dabei genießt er in der Haft zahlreiche Privilegien.

Der Prozess ruft Frankreich eine Nacht in Erinnerung, die niemand im Land je vergessen wird. Auch in Deutschland haben wir diesen Abend in schrecklicher Erinnerung, als während des Freundschaftsspiels Frankreich gegen Deutschland im Stade de France plötzlich Detonationen zu hören waren und das Chaos ausbrach.

Was die Terror-Kommandos in dieser Nacht in Paris und speziell im „Bataclan“ anrichteten, ist der Welt nur in Bruchstücken bekannt. In den letzten sechs Jahren ist zwar der eine oder andere Augenzeugenbericht darüber durchgesickert, was die Terroristen im „Bataclan“ verbrochen haben, doch wird dieser Prozess nun weitere Einzelheiten ans Tageslicht bringen, die diese ohnehin schreckliche und unmenschliche Tat noch einmal traumatischer wirken lassen werden. Das barbarische Gemetzel dieser Mörderbande, die aus radikalisierten, in Europa aufgewachsenen Kleinkriminellen, Drogensüchtigen und anderen Verlierern bestand, wird Frankreich und die Welt noch einmal schockieren. Doch muss dieser Prozess sein, auch wenn klar ist, was am Ende dabei herauskommt.

Salah Abdeslam wird nie wieder in Freiheit kommen und das ist natürlich richtig so. Der feige Terrorist, der anders als seine ebenso kranken Kollegen in dieser Nacht eigentlich seinem Schöpfer als „Held“ und „Märtyrer“ gegenübertreten wollte, verkroch sich nach den Attentaten und flüchtete nach Belgien, wo er später festgenommen wurde. Zum „Helden“ oder „Märtyrer“ eignet sich diese verkrachte Existenz natürlich nicht, doch wird er bis zu seinem unrühmlichen Ende Gelegenheit haben, über seine Taten nachzudenken. Viel milder sollten die Strafen für seine Helfer auch nicht ausfallen, denn wer sich an einem solchen Massaker beteiligt, hat das Recht verwirkt, eines Tages wieder in dieser Gesellschaft zu leben.

Für die Franzosen wird dieser Prozess nicht einfach werden. - Die wenigen Einzelheiten, die man über die Geschehnisse im „Bataclan“ weiß, sind von einer Grausamkeit, dass es einen schaudern lässt. Diese Einzelheiten werden nun im Prozess ergänzt und schonungslos offengelegt werden.

Auch, wenn jetzt viele wieder nach der Todesstrafe krähen, so ist dieser Prozess, so schmerzhaft und traumatisierend er sein wird, genau das, was der Rechtsstaat nun leisten muss. Für den vorsitzenden Richter Jean-Louis Périès wird es eine schwierige Aufgabe werden, denn er muss dafür sorgen, dass dieser Prozess streng nach rechtsstaatlichen Regeln abläuft, während er gleichzeitig verhindern muss, dass Abdeslam diese Plattform, wie bereits am Eröffnungstag, für seine islamistische Propaganda nutzt, die er in den Gerichtssaal kräht.

Natürlich findet der Prozess unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt und einmal mehr hat Frankreich die Möglichkeit, der Welt zu zeigen, was das Wort „Rechtsstaat“ bedeutet. In vielen anderen Ländern wäre Abdeslam ohne viel Federlesen „verschwunden“, doch hier zeigt der Rechtsstaat seine ganze Größe. Und der feige Terrorist wird sich am Ende seines irdischen Lebens sehr wundern, wenn er keine 72 Jungfrauen zur „Belohnung“ bekommt, sondern den Zorn seiner ganzen Religion. Denn das, was diese barbarischen Mörder taten, steht keineswegs im Einklang mit dem Koran. Es waren gescheiterte Existenzen und Kleinkriminelle, die aus Geltungssucht 130 Menschen töteten und die Welt in Schrecken versetzten. Mit „Glauben“ oder gar Religion hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun.

Es handelt sich um den vielleicht schwierigsten Prozess der letzten Jahre und Jahrzehnte in Frankreich und das Urteil wird den Terroristen und seine ebenso kriminellen Helfer für immer in die Vergessenheit ihrer 9 m2-Zellen schicken. Und dort mögen sie lange Jahre in ihrer Bedeutungslosigkeit verschimmeln, bis sie eines Tages in einem anonymen Grab verscharrt werden. Frankreich kann man für diesen Prozess nur alles Gute wünschen und dass die ans Tageslicht kommenden, schrecklichen Einzelheiten nicht dazu führen, dass die ohnehin schon gespaltene französische Gesellschaft noch weiter zerrissen wird.

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