Ein rundum trister Abend – im besten Sinne

Weltpremiere der Oper „Quai Ouest“ in der Rheinoper von Straßburg

Die Rheinoper in Straßburg kommt jedes Jahr etwas moderner daher. Foto: ONS / Alain Kaiser

(Straßburg, von Michael Magercord) – Oft hat man nicht das Vergnügen eine bislang uninterpretierte Oper zu hören und zu sehen – und erst recht nicht eine zu machen: keine Erwartungen, die es zu bedienen gelte, aber auch nichts, was man vermeint unbedingt überwinden zu müssen. Freie Bahn also für Librettist, Komponist und Regisseur bis zur Uraufführung.

Oder ist es vielleicht gar nicht so befreiend, wenn als Vorlage einzig ein Theaterstück vorliegt? Einfach scheint es jedenfalls für keinen der Beteiligten gewesen zu sein, das sinistere Theaterstück „Quai Ouest“ aus dem Jahre 1985 des frühverstorbenen französischen Autors Bernard-Marie Koltès in eine Oper zu verwandeln. Zwei Jahre dauerte allein die Kürzung des Urtextes, um einerseits eineinhalb Stunden Aufführungszeit nicht zu überschreiten, und doch andererseits den becketthaften Charakter dabei nicht zu beeinträchtigen. Und noch nicht einmal komplett vertont waren die Gesangspartituren, als die Sänger engagiert werden mussten, um sie rechtzeitig für die Premiere, die im Rahmen des Festivals für zeitgenössische Musik MUSICA angesetzt war, an die Rheinoper von Straßburg zu locken.

So neu – das ist selten im aufwendigen Opernbetrieb. Doch war an dieser Welturaufführung wirklich etwas neues? Neue Musik teilt sich ja besonders in deutschen Landen immer noch in feste Schulen auf, von Wien bis Darmstadt. Doch verriet ein gewichtiger Protagonist dieses Abends, dass er einen deutschen Komponisten der atonalen Richtung kenne, der gerne einfach einmal wieder in C-Dur setzen würde, es sich aber vor lauter Angst, dass die Horde der Atonalen über ihn herfallen werde und er aus den entsprechenden Fördertöpfen heraus, nicht getraue.

Davor musste sich der Komponist Régis Campo (Jahrgang 1968) aus Marseille nicht fürchten. Straßburg befindet sich noch auf der anderen Seite des Rheins, der trotz aller grenzüberschreitenden Kulturaktivitäten eine Trennlinie bildet, nämlich zwischen unterschiedlichen Musik- und Theaterauffassungen. Das lässt sich auch am Lebensweg des Regisseure und Librettisten und Regisseurs Kristian Frédric ablesen: Im Leben vor dem Eintritt in die Bühnenwelt war er Journalist und Radiosprecher, wurde Schauspieler, Technischer Mitarbeiter am Theater und dann erst – ganz ohne formale Ausbildung – Regisseur, und seine Co-Librettistin Florence Doublet ist laut Programmheft in der wahren Parallelwelt nach wie vor eine Werbetexterin. Alle drei formten zusammen mit dem Bühnenbildner Bruno de Lavenère aus dem bizarren Bühnenstück über gescheiterte Beziehungen zwischen Ehepaaren, Eltern, Kindern und Geschwistern ein gutes altes echtes, vollkommen in sich stimmiges Opernwerk.

Stimmig, das bedeutet am Quai Ouest Tristesse pur. Die Story und die Bühnenatmosphäre lassen sich am besten auf Französisch mit dem lautmalerischen Wort „glauque“ zusammenfassen, also trist und sinister. Ein Mann von Welt, der darin gescheitert ist, tritt ein in die Unterwelt der Docklands von New York, wo er nichts weiter will, als sich umzubringen oder – besser noch – umbringen zu lassen. Ein 7-Millionen-Dollar-Verlustgeschäft zerüttete sein Leben und nun zerrüttet sein Todeswunsch das Gleichgewicht des Schreckens, das zwischen den Bewohnern dieser isolierten Welt ohne weiteren Hinterausgang herrscht. Das Bühnenbild besteht aus zwei dusteren Wänden, die sich öffnen und vor allem immer wieder schließen.

Eine irreale, brutale Wirklichkeit, in der – wie es scheint – nur die Poesie noch eine Hintertür gefunden hat und sich hineingeschlichen hat in die Dialoge der Versager, Gescheiterten und Unglücklichen, zwischen Jungfrau und Verführer: „Wenn du wirklich unglücklich wärest, würdest du nicht immer Nein sagen. Wer Nein sagt, ist immer noch ein wenig glücklich“.

Ja oder doch noch etwas Nein – die Musik gibt keine Orientierung. Auch sie verbleibt in dieser sinsteren Schwebe, was auch dem kompositorischen Kunstgriff geschuldet ist, dass jeder Sängerpartie ein eigener Tonsatz mitgegeben ist. Nicht nur Klangfarben stehen nebeneinander, ob die lateinamerikanisch gefärbten Arien der Cécile, in denen Marie-Ange Todorovitch glänzen kann, oder die Sopranpassagen des Tenors Fabrice di Falco, nein, es kommt gar zu Duetten von in ganz unterschiedlichen Kompositionstechniken gesetzten Tonsätzen. Im Orchester kommen neben dem üblichen Apparat zwei Synthesizer und E-Gitarren zum Einsatz, ohne auch nur einen Moment ausfällig zu rocken, und ein Chor aus dem Off erklingt stimmig dazu, als wäre er ein weiteres Instrument.

Nein, diese Docklands von New York stehen nicht in Wien oder Darmstadt, sie befinden sich im Nirgendwo, das es irgendwo eben doch gibt, nämlich auf der Opernbühne. Ja, stillos werden Verfechter der verschulten Neuen Musik diese Komposition nennen. Man kann es aber auch anders sehen und dieser befreiten Art des Komponierens zugestehen, dass sie das Zeug hat, selbst einmal stilprägend werden zu können.

Nach einer weiteren Aufführungen in Straßburg und am 10. Oktober in Mühlhausen wird das Nürnberger Staatstheater am 17. Januar 2015 der nächste Ort sein, wo diese Docklands von New York eine Bühne finden werden und das Publikum schließlich vor die Frage gestellt wird, ob am Ende Himmel oder Hölle auf die Protagonisten wartet. Wie schon das Theaterstück, so bleibt auch in der Oper diese letzte aller Antworten aus, denn wenn der Vollstrecker des ganzen Wahnsinns schließlich mit seiner Kalaschnikow einen echten Schreckschuss abfeuert, dessen Qualm noch durch den Zuschauerraum wabert, hebt der Chor zu einem Abschlussgesang an, der eine Hymne unserer postmodernen Zeiten sein könnte: „In God we trust – do we?“

Nächste Aufführungen:
Am 2. Oktober in Straßburg und am 10. Oktober in Mülhausen
www.operanationaldurhin.eu

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