Ein Stuhl blieb leer

Bei der Übergabe des Sacharow-Preises im Straßburger Europaparlament blieb der Stuhl der wichtigsten Person leer – Preisträger Raif Badawi sitzt immer noch im Gefängnis in Saudi-Arabien.

Bei der Verleihung des Sacharow-Preises 2015 war der Preisträger nur als Foto mit dabei. Eine Schande für Saudi-Arabien. Foto: (c) European Union 2015 / Source: EP

(KL/EP) – Es war ein außergewöhnlicher Moment im Straßburger Europaparlament – denn bei der Verleihung des Sacharow-Preises 2015 fehlte die Hauptperson: der diesjährige Preisträger Raif Badawi. An seiner Stelle nahm seine in Kanada lebende Frau den Preis stellvertretend entgegen und forderte, wie schon so oft in der Vergangenheit, die Freilassung des Bloggers, dessen Stellungnahmen den Saudis ein solcher Dorn im Auge ist. An der systematischen Missachtung der Menschenrechte durch das erzkonservative Regime in Riad ändert auch nichts die aktuelle „Charmeoffensive“ der Saudis – doch der Westen zögert, den richtigen Druck auf einen „Partner“ aufzubauen, der ein zu wichtiger Handelspartner für die westlichen Nationen ist, als dass man den Ölprinzen wirklich einmal auf den Fuß treten würde.

Das Europäische Parlament in Straßburg tut auf jeden Fall, was es kann, ebenso wie der Europarat und auch die Stadt Straßburg, die keine Gelegenheit auslässt, Badawis Freilassung zu fordern. Die Verleihung des diesjährigen Sacharow-Preises ist ein großartiges Signal an die saudische Führung, doch könnte der Druck, mit dem man die Saudis tatsächlich zum Einlenken bewegen könnte, nur auf anderer Ebene erzeugt werden. Doch auf dieser Ebene will man dann doch nicht so richtig, denn einerseits ist der Westen scharf auf das Öl aus der Wüste und andererseits ist Saudi-Arabien der wichtigste Kunde für westliche Waffensysteme und andere Technologie – und wenn es um schnöde Petrodollars geht, dann vergisst man auch schon mal das lästige Thema der Menschenrechte.

Ensaf Haidar, Badawis Ehefrau und Mutter ihrer gemeinsamen drei Kinder, machte bei ihrer Ansprache deutlich, worum es den Saudis geht: „Raif ist kein Krimineller“, sagte sie, „sondern ein Schriftsteller und Freidenker“ – und genau das stört die Saudis. Während seines Prozesses, bei dem ihm vorgeworfen wurde, er sei vom Glauben abgefallen, ein „Vergehen“, das in Saudi-Arabien mit der Todesstrafe geahndet wird, musste er dreimal das moslemische Glaubensbekenntnis aufsagen, um wenigstens mit dem Leben davon zu kommen. Die Strafe für seine freie Meinungsäußerung fiel dennoch drastisch aus – 10 Jahre Gefängnis und 1000 Stockhiebe. Von diesen musste er bereits 50 erdulden, nach massiven internationalen Protesten wurden wenigstens die Stockschläge zwischenzeitlich ausgesetzt. Doch gleichzeitig wurde Badawi in ein weit entlegenes Gefängnis verlegt, wo er in einen Hungerstreik trat, doch kommen momentan kaum noch Informationen über seinen Zustand aus Saudi-Arabien heraus.

Parlamentspräsident Martin Schulz rief den saudischen König Salman auf, Raif Badawi zu begnadigen und in die Freiheit zu entlassen. Zusätzlich forderte er die saudische Regierung auf, „das systematische Unterbinden einer friedlichen Meinungsäußerung zu beenden“ und erinnerte an Waleed Abu al-Khair, Abdulkarim Al-Khodr, Ashraf Fayadh und Ali Mohammed al-Nimr, den Jugendlichen, der wegen angeblicher Gotteslästerung zum Tode verurteilt wurde. Dazu wies Schulz auf den eigentlich unglaublichen Umstand hin, dass Saudi-Arabien einen Sitz im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen innehat – doch als Schulz an die Adresse von Ensaf Haider sagte: „Wir sind bereit zum Dialog zu Menschenrechten, aber kein Terror, kein unmenschliches Justizsystem kann uns davon abhalten, für diese Menschenrechte zu kämpfen. Kein Sicherheitsargument, kein Waffendeal, keine Petrodollars können uns hiervon abhalten“, da hatte er das Problem eigentlich schon beim Namen genannt. Denn genau diese Punkte sind es, die unsere „zivilisierten“ Staaten des Westens davon abhalten, tatsächlich alles in die Waagschale zu werfen, um Raif Badawi wirkungsvoller zur Seite zu stehen.

Die Verleihung des Sacharow-Preises ist alles, was das Europäische Parlament für Badawi machen kann und deshalb war es natürlich mehr als richtig, ihm diesen Preis zu verleihen. Doch die Appelle sollten auch von denen gehört werden, die wirtschaftliche Interessen für ihren schonenden Umgang mit Saudi-Arabien als Rechtfertigung anführen. Denn auch sie tragen ein Stück Verantwortung dafür, dass der wichtigste Stuhl im Europäischen Parlament bei der Preisverleihung leer blieb – der von Raif Badawi.

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