Eine immer undurchschaubarere Situation

Angesichts der sich immer weiter ausbreitenden „5. Welle“ der Pandemie treffen alle Länder und Regionen immer hektischer Maßnahmen, die kaum noch nachvollziehbar sind.

Je chaotischer die Massnahmen werden, desto mehr wächst auch der Widerstand in der Bevölkerung, wie hier in Italien. Foto: Mænsard Vokser / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Die Corona-Regelungen haben eine Art Eigenleben entwickelt. Sie werden in immer kürzeren Abständen aktualisiert und die Aktualisierungen treten zumeist nur Stunden nach ihrer Verkündung in Kraft. Selbst Juristen haben Probleme, diesem Rhythmus zu folgen – wie sich Otto Normalverbraucher in diesem Wirrwarr noch zurechtfinden soll, ist rätselhaft.

Österreich führt saftige Strafgelder für Impf-Verweigerer ein, anderswo werden Lockdowns oder Teil-Lockdowns beschlossen, die Einreisebestimmungen und Kontaktreduzierungen werden permanent geändert und dazu flimmern jeden Abend Talk-Runden über die Bildschirme, in denen Experten und solche, die es gerne wären, ihre Theorien zum besten geben. Die Nachrichten sind voll von Zahlen und Statistiken, die jeder nur zur Bestätigung seiner Positionen heranzieht und die, je nach Interpretation, alles und davon das Gegenteil bedeuten können.

Während in Baden die Weihnachtsmärkte geschlossen wurden oder erst gar nicht eröffneten, tummeln sich Tausende deutscher Besucher einen Steinwurf entfernt auf den elsässischen Weihnachtsmärkten, wobei speziell in Straßburg auffällt, dass die Vorgaben der Maskenpflicht und des Verzehrs von Speisen und Getränken in abgesperrten Zonen von vielen Besuchern offenbar als „fakultativ“ betrachtet werden und da die martialisch patrouillierende Polizei sich nicht besonders um diese Verstöße kümmert, haben wir inzwischen „Helden“, die ohne Maske strahlend an den Polizisten vorbeilaufen, als ob das eine Art Mutprobe sei.

Aus der deutschen Rheinseite gilt im Einzelhandel inzwischen „2G“, im Elsass nicht. Nun darf man dreimal raten, wohin wohl die deutschen Besucher zum Einkaufen fahren, speziell die dritte „G“-Gruppe, die nicht geimpft, aber getestet ist. Eben, schnell über die Grenze nach Strasbourg oder Mulhouse und da an der Grenze ohnehin so gut wie nie kontrolliert wird, ist das auch völlig unproblematisch. Dass sich in einer solchen Situation viele nicht mehr an die geltenden Regeln halten, ist leider nachvollziehbar, immerhin wurde alles daran gesetzt, dass das Leben „normal“ weitergeht und nachdem die französische Regierung ihrer Bevölkerung permanent einbläut, dass keine Regierung der Welt diese Krise besser gemanagt habe als man selbst, und dass die Priorität sei, dass die Franzosen eine Advents- und Weihnachtszeit unter „normalen“ Umständen feiern können, halten sich eben viele nicht mehr an die geltenden Regeln. Und das ist nur die Momentaufnahme an der deutsch-französischen Grenze.

Anderswo ist die Situation ebenso undurchsichtig, ebenso wenig verständlich. Je länger diese Pandemie dauert, desto unklarer ist die Situation, doch inzwischen haben sich die Positionen in Ideologien verwandelt und der so dringend benötigte gesellschaftliche Dialog wurde durch Slogans, Beleidigungen und Aggressionen ersetzt und das leider von beiden Seiten, den Verfechtern der Impf-Strategie, aber auch von den Impf-Gegnern.

Dazu kommt, auch, wenn wir das inzwischen alle zwei Tage in unseren Artikeln kritisieren, die völlige Unfähigkeit der Politik, diese Pandemie als das zu begreifen, was sie ist – ein weltweites Phänomen, das man eben nicht mit kleinen, lokal oder regional begrenzten Maßnahmen bekämpfen kann. Und dennoch macht niemand auch nur den Versuch, den Kampf gegen dieses Virus auf europäischer Ebene zu führen, beispielsweise durch ein europäisches Wissenschafts-Observatorium, das die Entwicklung beobachtet und Handlungsempfehlungen ausspricht. Ein Beispiel: Die „5. Welle“ hat sich mit steter Geschwindigkeit seit etwas mehr als zwei Wochen von der Tschechischen Republik und Österreich nach Westen bewegt, Bayern geschluckt und dann auch Baden-Württemberg. Dass diese Welle nicht am Rhein stoppt, war klar. Dass sie dann logischerweise ins Elsass schwappt, war ebenso logisch. Aber wie kann es dann sein, dass sich die Verantwortlichen in Frankreich jetzt so erstaunt zeigen, wie sich die Inzidenzen bei ihnen entwickeln? Sie sind deshalb erstaunt, weil sie wie alle anderen auch, nicht mehr über den Tellerrand schauen, nur noch auf lokale Phänomene reagieren und keine echte Strategie mehr verfolgen.

Es ist jetzt bereits klar, dass die Maßnahmen, die überall getroffen werden, immer repressiver und schärfer werden. Blöd ist dabei nur, dass auch eine solche Verschärfung der Maßnahmen die weitere pandemische Entwicklung nicht stoppen kann. Schon bald werden wir nicht nur die Pandemie haben, sondern auch tief gespaltene Gesellschaften, in denen sich alle wundern, dass das Wegsperren nicht geimpfter Menschen die Pandemie nicht aufhalten kann, sondern dass diese sich dann eben in vermeintlich „sicheren“ Bevölkerungsgruppen fortpflanzt. Ob sich dann die politisch Verantwortlichen immer noch selbst auf die Schulter klopfen und behaupten, dass sie diese Krise sensationell und viel besser als alle anderen gemanagt haben?

1 Kommentar zu Eine immer undurchschaubarere Situation

  1. Herzlichen Glückwunsch… Das ist der erste Artikel den ich seit Monaten lese der sich nicht als hetzerische Maßnahme herausstellt, sondern die Situation aus meiner Sicht sehr gut beschreibt. Vielen Dank, bitte weiter so

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