Eine Impf-Pflicht, die ihren Namen nicht nennt

Frankreich hat gestern neue Maßnahmen gegen die „5. Welle“ verkündet, die zwar das Virus kaum eindämmen werden, dafür aber die Franzosen zur 3. Impfdosis zwingen.

Der französische Gesundheitsminister Olivier Véran ist ziemlich zufrieden mit sich selbst. Warum eigentlich? Foto: Revelli Beaumont / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Olivier Véran, der französische Gesundheitsminister, wird von Pressetermin zu Pressetermin zufriedener mit sich selbst. Denn irgendwie hat man in Frankreich das Gefühl, alles besser zu managen als alle anderen. So sagte Véran bei der Pressekonferenz stolz, dass er „keinen Lockdown, keine Ausgangssperre und keine vorsorglichen Schließungen anordnen wird“, obwohl er und die Regierung erkannt haben, dass diese Welle „härter und länger“ sein wird als die bisherigen Wellen, erschwert durch die kalte Jahreszeit. Dass diese „5. Welle“ sich gerade mit Gewalt ihren Weg von Osteuropa nach Westen bricht und inzwischen bereits an der deutsch-französischen Grenze steht, das hat man allerdings noch nicht zur Kenntnis genommen.

Die französische Regierung setzt auf Impfungen, Impfungen und Impfungen und führt faktisch die Impf-Pflicht ein, ohne diese beim Namen zu nennen. Denn der bisherige „Sanitär-Pass“ verfällt am 15. Dezember für Personen über 65 Jahren, die keine 3. Dosis erhalten haben und am 15. Januar für alle Franzosen, die nicht zum dritten Mal geimpft sind. Doch der „Sanitär-Pass“ ist das Sesam-öffne-dich für praktisch alle öffentlichen Einrichtungen, aber auch fast alle privaten Orte, an denen es Kultur, Sport und Freizeit gibt.

„Kein Problem“, sagt Olivier Véran, denn immerhin haben ja jetzt alle zwei Monate Zeit, um sich diese dritte Dosis impfen zu lassen, von der ebenso viele Wunder versprochen werden wie von den ersten beiden Dosen, die diese Versprechen leider nicht gehalten haben, weil sie innerhalb kurzer Zeit ihre Wirksamkeit verloren haben. Also stehen die Franzosen erneut vor der Wahl, einer Regierung zu trauen, die bisher eigentlich so gut wie nie die Wahrheit gesagt hat oder zu akzeptieren, am 15. Dezember oder am 15. Januar zu Parias der Gesellschaft zu werden. Faktisch ist dies eine Impf-Pflicht, denn gleichzeitig verkürzt die Regierung die Dauer, während der die Tests akzeptiert werden, von 72 auf 24 Stunden. „Tja“, sagte Véran genüsslich, „dann müssen sich halt diejenigen, die sich nicht impfen lassen, alle 24 Stunden auf eigene Kosten testen lassen.“ Prima.

Für diejenigen, die zwar geimpft oder genesen sind, sich aber seit Wochen und Monaten nicht mehr testen lassen und dementsprechend eine 50:50-Chance haben, das Virus einzufangen und weiterzuverbreiten, ändert sich nichts. Klar, das sind ja auch die „guten Franzosen“, denen man nicht die Festtage versauen will. Auch, wenn sie sich kollektiv auf dem Weihnachtsmarkt anstecken, denn die Situation ist in Frankreich so genial gemanagt, dass es keinerlei Grund gibt, Großveranstaltungen wie Weihnachtsmärkte oder Fußballspiele in vollen Stadien abzusagen. Nur gute Tipps gibt es für diese Personengruppe: Maske tragen (wird ohnehin in allen geschlossenen Räumen obligatorisch, dazu können die Präfekten entscheiden, die Maskenpflicht auch im Freien zu verhängen), Hände waschen und die Zimmer lüften („auch, wenn das jetzt kalt ist“). Prima Tipps. Vielleicht hätte Olivier Véran seinem Premierminister Jean Castex noch einmal zeigen sollen, wie das mit dem Händewaschen richtig funktioniert. Der ist nämlich nach positivem Test in häuslicher Quarantäne.

Es sieht ganz danach aus, als würde die französische Regierung das Tchernobyl-Szenario doch nachspielen. Allerdings stehen die Chancen hoch, dass dieses Narrativ nur sehr kurz aufrechterhalten werden kann, denn die „5. Welle“ schwappt bereits ins Elsass hinein.

Und einmal mehr zeigt sich, dass diese nationalen Alleingänge nicht viel mehr bringen als der Wunsch nach dem Weltfrieden. Ob sich die nationalen Regierungen wohl 2024 dazu durchringen werden, es doch einmal gemeinsam zu versuchen? Was nützen Maßnahmen in Frankreich oder in Deutschland, wenn auf der jeweils anderen Rheinseite andere Maßnahmen getroffen werden, die entgegengesetzt sind und die Menschen dazu einladen, sich dorthin zu begeben, wo die Umstände etwas einfacher sind?

Freiburg hat gestern seinen Weihnachtsmarkt abgesagt. Aber kein Problem für die Bewohner der badischen Hochinzidenz-Region – sie können ja auf die Weihnachtsmärkte im Elsass fahren und dort dafür sorgen, dass sich das Virus problemlos weiter verbreiten kann… Schließen wir also die Augen und wünschen uns vom Weihnachtsmann ganz, ganz dolle, dass irgendwas von diesen Maßnahmen dann doch funktioniert. Damit das passiert, braucht es tatsächlich schon ein Weihnachtswunder.

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