Eine schwierige Entscheidung

Während in Deutschland reihenweise die Weihnachtsmärkte abgesagt werden, will man den Straßburger Weihnachtsmarkt auf jeden Fall aufrechterhalten.

Würde es in der aktuellen Situation nicht Sinn machen, kurzzeitig die Grenze nach Deutschland und Belgien zu schliessen? Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Die Situation ist mehr als kompliziert. Während Frankreich (noch) eine relativ langsame pandemische Entwicklung aufweist, explodieren auf der deutschen und belgischen Seite die Inzidenzzahlen und zwingen die politisch Verantwortlichen, immer neue, schärfere Maßnahmen zu verhängen. Und – die „5. Welle“ bewegt sich mit großer Geschwindigkeit von Ost nach West. Da die extremen Inzidenzzahlen bereits die Ortenau erreichen (die bereits eine Inzidenz von rund 450 aufweist), muss man damit rechnen, dass diese Welle in den kommenden Tagen auch das Elsass erreichen wird. Und dann stehen schwierige Entscheidungen an.

Bereits heute bewegt sich die Inzidenz in der Eurometropole Straßburg auf die 200 zu. Wenn nun die „Welle“ von Baden ins Elsass schwappt (und dieses Mal wird es nicht so funktionieren wie vor 30 Jahren, als die Behörden behaupteten, dass die radioaktive Wolke aus Tschernobyl an der Grenze zu Frankreich gestoppt hätte…), dann wird man sich in Straßburg etwas einfallen lassen müssen, will man verhindern, dass nach Nürnberg und Dresden auch der dritte große europäischer Weihnachtsmarkt abgesagt werden muss. Momentan sitzt man in Straßburg wie das Kaninchen vor der Schlange und hofft, dass alles ganz anders kommen möge.

Eine Alternative wäre es, bis Ende des Jahres die französischen Grenzen nach Deutschland, Belgien und Luxemburg zu schließen. Das möchte zwar auch niemand, doch entweder setzt man alles daran, dass diese „5. Welle“ die gesamte Adventszeit und damit natürlich auch den Straßburger Weihnachtsmarkt unmöglich macht, oder man wartet einfach ab, bis die Ereignisse die Behörden dazu zwingen, die Maßnahmen zu treffen, die niemand treffen möchte. Stünde man in einem konstruktiven, grenzüberschreitenden Austausch zu diesen Themen, würde es leichter fallen, solche Entscheidungen im Konsens und gemeinsam zu treffen. Schade, dass zwei Jahre Pandemie nicht ausgereicht haben, die Verantwortlichen dazu zu bewegen, über den nationalen Tellerrand zu blicken und die jeweiligen Maßnahmen konzertiert und gemeinsam zu treffen.

Das Gleiche gilt für Belgien und Luxemburg. In Belgien herrscht heute eine Inzidenz von 830, und genau wie an der deutschen Grenze, wird die vorherrschende Mobilität dafür sorgen, dass sich innerhalb kürzester Zeit die Inzidenzen auch in Frankreich und speziell in Ostfrankreich verschärfen werden. Das letzte Mal, als vor nicht langer Zeit die Inzidenzen in Nizza und Dünkirchen explodierten, mussten diese beiden städtischen Großräume abgeriegelt werden. Damals lagen die Inzidenzen in beiden Städten bei rund 700, einem Wert, der in vielen Kreisen Baden-Württembergs und Bayerns bereits deutlich überschritten wird. Glaubt jemand ernsthaft, dass man in Straßburg bei solchen Inzidenzen den Weihnachtsmarkt weiterlaufen lassen kann, als sei alles normal? Glaubt jemand ernsthaft, dass die französischen Touristen auch dann nach Straßburg zum Weihnachtsmarkt fahren, wenn hier die Pandemie tobt und die Inzidenzzahlen verrücktspielen?

3 Möglichkeiten – So bleiben den Verantwortlichen, und das sind in erster Linie der Staat und seine Repräsentantin vor Ort, die Präfektin Josianne Chevalier, im Grunde nicht viele Möglichkeiten. Genauer gesagt, sie haben drei Möglichkeiten. Die erste ist, einfach abzuwarten und ein paar „kosmetische“ Korrekturen am Format des Straßburger Weihnachtsmarkts vorzunehmen (2G, Verbot des Verzehrs von Speisen und Getränken außerhalb der dafür vorgesehenen Zonen, Maskenpflicht etc.). Und zu hoffen, dass das reicht. Die zweite Möglichkeit wäre, den Weihnachtsmarkt abzusagen, was für die Standbetreiber, den Einzelhandel, die Hoteliers und Gastronomen der Stadt eine Katastrophe und für manch einen das Ende seiner Tätigkeit bedeuten würde. Die dritte Möglichkeit wäre, so schnell wie möglich und vorübergehend und in Absprache mit den jeweiligen Partnern die Grenzen nach Deutschland, Luxemburg und Belgien zu schließen, bis sich die extreme pandemische Lage in diesen Ländern bessert.

Vielleicht muss man sich in dieser Situation von der Vorstellung lösen, dass eine Grenzschließung ein „feindseliger Akt“ sei. Heute geht es darum, die geographische Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, wenn man sie schon nicht stoppen kann. Als während des ersten „Lockdowns“ in Frankreich die Mobilität stark eingeschränkt wurde und faktisch keine Fahrten mehr zwischen den beiden Departements Haut-Rhin und Bas-Rhin möglich waren, empfand das niemand als eine Diskrimination oder ähnliches. Jeder verstand, dass es darum ging, kurzzeitig die Mobilität der Menschen und mit ihnen, diejenige des Virus zu verlangsamen.

Eine solche Entscheidung zu treffen, ist alles andere als einfach. Zumal der Straßburger Weihnachtsmarkt auch von und mit den Besuchern aus Deutschland und Belgien lebt. Doch Besucher aus Deutschland und Belgien bedeuten in diesen Tagen auch den Besuch des hoch virulenten Delta-Variants, der das Potential hat, wie in Nürnberg und Dresden den Weihnachtsmarkt auch in Straßburg unmöglich zu machen.

Das Einzige, was man auf keinen Fall machen sollte, ist sich weiterhin in diesem schönen Gefühl zu sonnen, dass Frankreich diese Krise dank Macron, Castex und Véran so toll managt, dass nichts passieren kann. Wenn jetzt keine Entscheidungen getroffen werden, könnte es leider passieren, dass der Weihnachtsmarkt kurz nach seiner Eröffnung wieder schließen muss. Will man das vermeiden, muss man jetzt handeln, auch, wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, die niemand treffen will.

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