Eine sehr differenzierte Sichtweise

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten hat einen Offenen Brief an Freiburgs Bürgermeister Martin Horn geschickt, den wir hier veröffentlichen.

Eines der Denkmäler für den Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera, der weiterhin als Nationalheld in der Ukraine verehrt wird. Foto: Haidamac / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – In Zeiten wie diesen, in denen alles in schwarz-weiß gemalt wird, ist es geradezu wohltuend zu sehen, dass es noch Menschen gibt, die sich eindeutig auf Seiten der Ukraine positionieren, ohne dabei ihren kritischen Blick zu verlieren. So kritisiert die hoch seriöse und bereits 1947 gegründete „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen“ die Heldenverehrung des ukrainischen Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera, die ausgerechnet in Freiburgs Partnerstadt Lviv ihre Hochburg hat, wo sich heute noch ein meterhohes Denkmal für diesen Mann befindet, dessen antisemitischen, rassistischen, ultranationalistischen und menschenverachtenden Ideen heute wieder Hochkonjunktur haben. Wir veröffentlichen den Offenen Brief, den Erika Weisser, die Sprecherin der Kreisvereinigung VVN-BdA Freiburg, an die Freiburger Stadtoberen geschickt hat.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Martin Horn,
sehr geehrter Herr Erster Bürgermeister Ulrich von Kirchbach,
sehr geehrte Gemeinderät:innen,

vor wenigen Tagen jährte sich der Beginn des völkerrechtswidrigen Kriegs Russlands in der Ukraine. Von den mit beiderseits zunehmender Verhärtung ausgefochtenen Kämpfen sind auch unzählige Zivilist:innen betroffen, darunter in Lviv, der westukrainischen Partnerstadt Freiburgs.

Seither hat sich die Städtepartnerschaft intensiviert; mit Spenden und Mitteln aus dem städtischen Haushalt wurden dringend benötigte Medikamente und Hilfsgüter des täglichen Bedarfs beschafft und deren Transport nach Lviv finanziert. Ebenso leistet die Stadtverwaltung vor Ort technische und logistische Hilfe, etwa mit der Lieferung von bisher 12 Groß-Generatoren für die Wasser-, Strom- und Fernwärmeversorgung – etwa im Notfallkrankenhaus, für das auch medizinisches Gerät zur Verfügung gestellt wurde.

Die VVN-BdA Freiburg begrüßt dieses große zivile Engagement und diese anhaltende praktische Solidarität mit den Einwohner:innen der Partnerstadt ausdrücklich. Wir finden es richtig und wichtig, für die von lokalen und regionalen infrastrukturellen Zerstörungen betroffenen Menschen humanitäre Hilfe zu leisten und Vertriebene aufzunehmen. Die Unterstützung der Zivilbevölkerung in Kriegs- oder anderen Katastrophensituationen zeichnet lebendige Städtepartnerschaften aus und zählt zu den Selbstverständlichkeiten gelebter internationaler Solidarität.

Diese Solidarität kann nach unserer Auffassung allerdings nicht für nationalistische, militaristische, rassistische und/oder faschistische Ideologien gelten. Auch und insbesondere dann nicht, wenn sie von offizieller Seite gefördert oder geduldet oder sich gar von öffentlichen Repräsentanten zu Eigen gemacht werden. Deshalb haben wir kein Verständnis dafür, dass die Vertreter:innen der Stadt Freiburg die – schon vor dem jetzigen Krieg – in Lviv besonders gepflegte Verehrung für den als Helden gefeierten Nationalisten Stepan Bandera im direkten Austausch mit den Amtsinhaber:innen aus der Partnerstadt nicht thematisieren. Zumindest ist uns davon nichts bekannt.

Stepan Bandera, 1909 im damals habsburgischen Ostgalizien geboren, schloss sich während seines Studiums in Lviv der 1929 von Andryj Melnyk gegründeten Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) an und stieg schon 1930 in deren Führungskader auf. Lviv gehörte als Teil der Westukraine seit der 1921 erfolgten Aufteilung des Landes zwischen Polen, Russland und der Tschechoslowakei zu Polen. 1934 wurde Bandera wegen seiner Rädelsführerschaft bei gezielten Massakern der OUN an der polnischen Zivilbevölkerung und bei der Ermordung des polnischen Innenministers Bronisław Pieracki zunächst zum Tode und dann zu lebenslanger Haft verurteilt, aus der er 1939, nach dem deutschen Überfall auf Polen, aber entlassen wurde. Im von den Nazis besetzten Krakau arbeitete er unter dem Decknamen Konsul II mit dem Nachrichtendienst der Wehrmacht zusammen und sorgte dafür, dass Kampfverbände der OUN in der Wehrmacht für den von Hitler längst geplanten Krieg gegen SowjetRussland ausgebildet wurden. Freiwillige dieser Bataillone Nachtigall und Roland kämpften später in der 14. SSWaffen-Grenadier-Division, der galizischen Nr. 1.

1940 betrieb Bandera die Spaltung der OUN und wurde Chef der OUN-B, die im Gegensatz zu Melnyks OUN-M deutlich faschistische und radikal antisemitische Ideologien vertrat. Sein Ziel: Die Befreiung der im Zuge des Nichtangriffspakts zwischen Hitler und Stalin von der Sowjetunion besetzten Westukraine, der Sieg über die Rote Armee und der Aufbau eines Nationalstaats mit einer „ethnisch sauberen“ Bevölkerung. Aus den programmatischen Schriften der OUN-B geht hervor, dass in dieser Ukraine kein Platz für Polen, Russen, Juden sowie Sinti und Roma sein sollte. Entsprechend wurden diese Menschen ab dem 22. Juni 1941, als die Wehrmacht mit aktiver Unterstützung der Banderisten auch in der heutigen Ukraine einfiel, von der UPA, dem militärischen Arm der OUN-B, ermordet – in Kollaboration mit deutschen Einheiten.

Am 30. Juni 1941 marschierte die Wehrmacht in Lviv ein, wo es zu Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung kam. An diesen waren maßgeblich die von der OUN-B geführten Milizen beteiligt. Diese bereiteten auch durch Verhaftungen die Massenerschießung von 3000 Juden durch die deutsche Sicherheitspolizei am 5. Juli 1941 vor. Zwar wurden Bandera und sein Stellvertreter Jaroslav Stezko von den neuen NS-Machthabern verhaftet, weil sie entgegen derer Interessen in Lviv eine Unabhängige Republik Ukraine ausgerufen hatten. Bandera kam als „Ehrengefangener des Führers“ in das KZ Sachsenhausen – allerdings in eine komfortable Zwei-Zimmer-Wohnung. Dort blieb er bis 1944 und war an den Verbrechen seiner Anhänger nicht unmittelbar beteiligt. Doch die Saat, die er gesät hatte, war aufgegangen – und blüht bis heute: In der politischen Landschaft der Westukraine spielen rechtsradikale und faschistische Gruppierungen eine nicht unwesentliche Rolle.

Bandera wird (nicht nur) in Israel als Kriegsverbrecher gelistet; er stellte die ukrainische Variante des Faschismus dar, dessen Anhänger an bis dahin beispiellosen Verbrechen an der Menschheit beteiligt waren. Auch in Polen sieht man den Kult um Bandera skeptisch: Unter seiner Führung hat die OUN die polnische Zivilbevölkerung massakriert, Tausende von Juden ermordet und/oder sie den deutschen Gestapo-Einheiten zugeführt.

Wir gehen davon aus, dass Ihnen und den anderen Verantwortlichen im Freiburger Rathaus die Fakten bekannt sind. Und wir erwarten, dass Sie gegenüber den Kolleg:innen aus Lviv deutlich machen, dass Positionen, die aus NS-Kollaborateuren Freiheitskämpfer machen, in Freiburg kritisch gesehen und weder geteilt noch akzeptiert werden – gemäß der in der Badischen Zeitung vom 8.3.2019 zitierten Aussage von Oberbürgermeister Martin Horn, dass es „eine Unterstützung für irgendwelche Aktivitäten im Zusammenhang mit Stepan Bandera nie gegeben“ habe „und auch nie geben“ werde.

Dabei – und dies klarzustellen ist uns wichtig – soll es lediglich um eine kritische Distanzierung von den auch in Lviv zunehmenden extrem nationalistischen Positionen gehen; es soll weder die Hilfe für die ukrainische Zivilbevölkerung noch die Städtepartnerschaft in Frage gestellt werden. Eine Forderung nach Distanzierung – auch gegenüber Personen – war ja bereits Gegenstand des Offenen Briefs der Fraktion „Eine Stadt für Alle“ anlässlich des Besuchs von Vizebürgermeister Andryj Moskalenko als Ehrengast beim städtischen Neujahrsempfang am 13. Januar. Wir unterstützen dieses Schreiben ausdrücklich und fragen, warum es bisher keine Antwort darauf gab – und warum OB Horn bei seiner Neujahrsansprache auf die erwartete „deutliche Klarstellung und Distanzierung im Namen der Stadt Freiburg“ verzichtet hat. Dieses Schweigen ist für uns zumindest sehr befremdlich.

Moskalenko, das zeigt sein auf Facebook gepostetes, mit den Worten „Ruhm der Ukraine, Ruhm den Kämpfern“ kommentiertes Selfie, nahm am 1. Januar 2023 – mit anderen staatlichen Repräsentanten – aktiv an der jährlich veranstalteten zentralen Bandera-Gedenkfeier an dem sieben Meter hohen Ehrenmal in Lviv teil. Wobei der Inhalt seines Kommentars nahelegt, dass er den Kampf der Ukraine gegen Russland als Fortsetzung des Kampfes der OUN-B und ihres Anführers versteht. Indessen kann Bandera, da waren sich der Freiburger Historiker Dietmar Neutatz und der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Osteuropa-Kenner Gernot Erler im oben zitierten BZArtikel einig, nicht als positive Bezugs- und Identifikationsfigur dienen: „Zu verstrickt war er in die Verbrechen der Nazis“.

Nach den Erfahrungen aus den 12 Jahren der NS-Herrschaft können wir als Antifaschist:innen dazu nicht schweigen – auch wenn es sich um eine befreundete Stadt in einem souveränen Staat handelt – und auch wenn uns bewusst ist, dass Wladimir Putin den Angriff auf die Ukraine unter anderem damit begründet, das Land entnazifizieren zu wollen. Dass das eine Propagandalüge ist, dass seine Ziele anderer Natur sind, daran dürfte es kaum Zweifel geben. Ebenso wenig wie darüber, dass die Ukraine völkerrechtlich legitimiert ist, sich selbst zu verteidigen.

Inzwischen ist jedoch tatsächlich ein zunehmend aggressiver Nationalismus auszumachen, der möglichen Bemühungen um Waffenstillstand, Verhandlungen und Friedenslösungen entgegensteht. Und dieser wachsende Ausschluss- und Überlegenheitsnationalismus, den auch das an der Seite der ukrainischen Streitkräfte agierende, offen faschistische Asov-Regiment vertritt, speist sich nach unseren Recherchen maßgeblich aus dem Bandera-Kult, der wichtiger Bestandteil der offiziellen nationalen Erinnerungspolitik der Ukraine ist – und in Lviv offenbar ein Zentrum hat. Dazu ist anzumerken, dass es sich beim Banderismus nicht um eine Befreiungsbewegung handelt, die lediglich nationalstaatliche Einheit und Autonomie anstrebte. Vielmehr war die OUN-B von Anfang an durch eine aggressive Überlegenheitshaltung geprägt, die das eigene Land mit einer homogenen Volksgemeinschaft über alles stellt.

Deshalb sehen wir die Ikonisierung Banderas und die Verehrung seiner mörderischen Mitstreiter, die an der Seite der Nazis zu den überzeugtesten Verfolgern ethnischer Minderheiten gehörten, als angebliche Unabhängigkeits- und Freiheitshelden als sehr gefährlich an. Und wir würden uns wünschen, dass es im Rahmen der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit innerhalb einer solidarischen Städtepartnerschaft möglich wäre, auch solche sicher nicht angenehmen Dinge anzusprechen und auf eine fundierte, von Mythen freie Auseinandersetzung mit der OUNB und ihrem heutigen ideologischen Einfluss hinzuwirken.

Es wäre zu begrüßen, wenn der weitere Umgang der Stadt trotz aller Solidarität mit den Einwohner:innen Lvivs mit der nach unserer oben begründeten Auffassung höchst problematischen Bandera-Verehrung in der Partnerstadt Gegenstand der Beratungen einer Gemeinderatssitzung werden könnte. In diesem Zusammenhang wäre auch zu überlegen, wie sich Freiburg für die Aufnahme von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern öffnen kann – aus der Ukraine und aus Russland. Gerade diese Menschen brauchen unsere Solidarität und sichere Zufluchtsorte.

Für eine baldige Antwort sind wir dankbar.

Mit freundlichen Grüßen,
Erika Weisser,
Sprecherin der Kreisvereinigung VVN-BdA Freiburg

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