Eine Wahl, die nicht hätte stattfinden dürfen
Bei der gestrigen Kommunal- und OB-Wahl in Frankreich setzte die Regierung die Wählerschaft einem großen Gesundheitsrisiko aus – und legt gleichzeitig das Land lahm.

(KL) – Rund 65,6 % der Straßburger haben gestern die Kommunal- und OB-Wahlen boykottiert. So eine hohe Anzahl Nichtwähler hat es in Frankreich bei einer solchen Wahl noch nie gegeben. Die Ergebnisse sind nun das, was sie sind – sie reflektieren in keiner Form den politischen Willen der Französinnen und Franzosen. Aber wie ungeschickt ist es, am Vortag den kompletten Stillstand des Landes zu verkünden, alten und kranken Menschen die Hausquarantäne zu verordnen, aber trotzdem das Volk am Folgetag zur Wahl zu versammeln? Wie es weitergeht, ob die Wahl annulliert wird, ob es einen zweiten Wahlgang gibt, steht in den Sternen. Nur eines ist momentan klar – die Grüne Jeanne Barseghian (27,87 %) ist die große Gewinnerin des ersten Wahlgangs, vor dem LREM-Kandidaten Alain Fontanel (19,86 % – nachdem er in allen Umfragen als Sieger prognostiziert worden war…), ebenfalls vor der zweiten Siegerin Catherine Trautmann (19,77 % – ihre Partei, die PS, war mit 9 % in den Umfragen gestartet), die es in wenigen Wochen geschafft hat, den Straßburger Sozialisten wieder neues Leben einzuhauchen. Ebenfalls bemerkenswert das Ergebnis des konservativen Jean-Philippe Vetter, der auf 18,26 % der Stimmen kam. Nur – was bedeuten diese Wahlen zu einem Zeitpunkt, zu dem ein mörderisches Virus die ganze Region, unsere Länder, Europa und die Welt bedroht?
Bleiben wir beim Thema der Wahlen, dann ist in Straßburg das passiert, was fast überall in Frankreich passiert ist – die Kandidaten und Kandidatinnen der Regierungspartei LREM sind abgestürzt und die miserablen Ergebnisse könnten bereits heute das Ende der „Macronie“ einläuten. Auf der anderen Seite haben die Grünen (EELV) massiven Rückenwind und könnten nicht nur das Rathaus in Straßburg erobern. Wenn denn die Wahl ordnungsgemäß zu Ende geführt werden kann. Und das ist alles andere als sicher – denn die Coronakrise könnte bereits in den nächsten Stunden die französische Regierung veranlassen, wie in Italien eine landesweite Ausgangssperre zu verhängen. In diesem Fall müsste der zweite Wahlgang annulliert werden, was laut französischer Verfassung zur Folge hätte, dass auch der erste Wahlgang annulliert würde und irgendwann später ein neuer Wahltermin gefunden wird. Aber so einfach ist das auch nicht.
Es stellt sich nämlich die Frage, was mit den Tausenden bereits gestern Abend gewählten Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen der kleinen Kommunen passieren soll, in denen es aufgrund der Präsenz von nur einer oder zwei Listen bereits im ersten Wahlgang einen Sieger oder eine Siegerin gab? Diese Leute sind nach allen Regeln der Demokratie gewählt worden und ob dann noch dieser erste Wahlgang annulliert werden kann, ist sehr fraglich.
Nur, abgesehen von den Ergebnissen, hätte diese Wahl nie stattfinden dürfen. Die Legitimität der Gewählten (wenn nur 35 % der Menschen wählen gehen und die Siegerin der Wahl 27,87 % erzielt hat, wie viele der Wahlberechtigten haben dann tatsächlich für sie gestimmt?) wird ein riesiges Problem werden. Und wie soll man es verstehen, wenn Präsident Macron am Donnerstag das Land lahmlegt, einem Großteil der Bevölkerung vorgibt, daheim zu bleiben, nur um dann am Sonntag eine Wahl durchzuziehen? Überall auf der Welt sind für den März geplante Wahlen verschoben worden, selbst im heiß laufenden US-Wahlkampf. Und Frankreich ist das einzige Land auf der Welt, in dem man eine Wahl nicht verschieben kann?
Die Entscheidung über die Durchführung des zweiten Wahlgangs am nächsten Sonntag liegt bei der Regierung. Diese kann sich aufgrund der dann doch noch spät entdeckten Sorge um ihre Landsleute zum Abbruch der Wahl entscheiden (nachdem sie in ganz Frankreich mächtig auf die Mütze bekommen haben) und dann eben zu einem späteren Zeitpunkt wählen lassen, in der Hoffnung, dass sich bis dahin die Stimmung für sie verbessert.
Da bis Dienstag 18 Uhr die Wahllisten für den zweiten Wahlgang eingereicht werden müssen, muss die Regierung schnell handeln. Vielleicht wurde in der Nacht bereits die Ausgangssperre verkündet – oder am Montag.
Doch der Fehler ist längst passiert – in der aktuell so bedrohlichen Situation hätte die Wahl nicht stattfinden dürfen. Eines Tages werden die Historiker die Jahre unter Präsident Macron aufarbeiten. Wir sind heute schon gespannt auf die Analyse…
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